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„Museen haben Kunstunterricht übernommen“

03.03.2008 | 18:10 |  (Die Presse)

Max Hollein, Chef von Schirn und Städel, über Nachbesetzungen, Spagate und freien Eintritt.

Die Presse: Zurzeit gibt es auffällig viele vakante Direktorenposten in den wichtigsten Museen der Welt, im Metropolitan Museum New York, im Wiener KHM. Die Nachfolgersuche scheint aber überall eher schwierig. Warum?

Max Hollein: Einerseits passiert gerade ein Generationenwechsel, andererseits hat sich das Aufgabenfeld gewandelt. Die, die jetzt gehen, haben die neuen Ansprüche im Managementbereich wie Fundraising und Mitarbeiterführung zwar schon erfüllen müssen. In der nächsten Welle werden diese Qualifikationen aber bereits auf professioneller Ebene vorausgesetzt. Hier muss ein Spagat zwischen Wissenschaft und Management geschafft werden. Das System ist deutlich komplexer geworden.


Sind angesichts der veränderten Anforderungen die vier Säulen der Museumsarbeit – sammeln, erforschen, bewahren und vermitteln – überhaupt noch zeitgemäß?

Hollein: Aus diesen Säulen sind ineinanderfließende Bereiche geworden. Mehr denn je ist das Museum heute aber eine Bildungsinstitution und hat diese Rolle auch nicht mehr nur in den eigenen vier Wänden. Im Prinzip hat es den Kunstunterricht übernommen, der früher in Schule und Familie stattfand.

In diesem Zusammenhang wird auch die Diskussion über den freien Eintritt in die ständigen Sammlungen dringlicher, die in England, in Frankreich und auch Österreich geführt wird. Was halten Sie davon?

Hollein: Prinzipiell ist das eine sympathische Idee, um Schwellen zu senken. Obwohl man keine Illusionen darüber haben sollte, dass dann alle Gesellschaftsschichten Museen frequentieren und Massen in die Sammlungen strömen. Aber es gehört sicher dazu, um das Museum weiter zu öffnen. Der ökonomische Faktor der Eintritte ist außerdem nicht so hoch, wie man glauben mag. Trotzdem muss es eine Kompensation der Verluste geben, von öffentlicher Hand oder privater Seite.

Ihr Geschick mit Sponsoren ist legendär. Trotzdem schaffen Sie es, in Schirn und Städel nicht nur auf Blockbuster zu setzen. Ihr Programm reicht von Cranach über die Impressionistinnen bis zu zeitgenössischer Kunst über Tourismus. Gibt es Hoffnung für Quotenskeptiker?

Hollein: Sponsoren wollen nicht immer nur Monet und Picasso, aber das hat etwas mit Vermittlung zu tun. Die Cranach-Ausstellung im Städel etwa hatte 205.000 Besucher. Dieser Erfolg war aber nicht absehbar, Cranach ist kein Selbstläufer, wie es Dürer oder van Gogh sind. Ich würde in der Schirn nie Ausstellungen à la „Von Monet bis van Gogh“ machen, wir versuchen immer, inhaltlich einen neuen Aspekt zu finden.

Sie bauen einen Zubau fürs Städel, das die Kunst nach 1945 adäquat beherbergen soll. Ein Segment, das sie durch Kooperationen mit Firmensammlungen wie die der Deutschen Bank verstärken wollen. Dafür gab es in Frankfurt Kritik wegen zu starker Konkurrenz mit dem Museum moderner Kunst. In Wien gibt es ähnliche Diskussionen darüber, dass viele Museen parallel zeitgenössisch sammeln.

Hollein: Die Sammlung des Städel beginnt um 1400 und endet im Heute, es wurde immer zeitgenössisch gesammelt. Ich werde nicht der Direktor sein, der damit aufhört.

Das gilt aber für fast jede Museumssammlung.

Hollein: Städel und MMK sammeln mit völlig unterschiedlichen Perspektiven. Das Spektrum zeitgenössischer Kunst ist so breit, es wäre falsch, wenn sie in einer Stadt nur von einer Institution angekauft wird. sp

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.03.2008)


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