Salzburger Nachrichten am 27. Juli 2006 - Bereich: Kultur
Auf den Spuren von Geschichte und Erinnerung Die anspielungsreiche,
verschlungene Kunstwelt von William Kentridge: "Black box/chambre noir" im
Museum der Moderne
Karl HarbSalzburg (SN). Jetzt bewegt sich etwas in der Ausstellung "Les
grands spectacles II" im Museum der Moderne auf dem Mönchsberg. Kunst und
Bühne ist das Motto, wie berichtet, und dazu hat der südafrikanische
Künstler William Kentridge eine kleine Bühne nach Art eines mechanischen
Theaters errichtet. Seine von großformatigen Entwurfszeichnungen begleitete Installation
"Black box/chambre noir" entstand 2005 als Auftragsarbeit für das Deutsche
Guggenheim und ist seit Dienstagabend im Museum auf dem Mönchsberg zu
betrachten. Darin begibt sich der Mythenforscher wieder auf
Geschichtsrecherche. Mit Animationsfilmen, kinetischen Objekten und
Zeichnungen, die essenzieller Bestandteil der Filmarbeit werden, erinnert
Kentridge assoziativ an die Geschichte (und dunklen Geschichten) des
deutschen Kolonialismus. Konkret handelt es sich um das 1904 von den
Deutschen verübte Massaker an den Herero in Deutsch-Südwestafrika, dem
heutigen Namibia. Die Spannungen, die zum Herero-Krieg führten, gingen um Landräumungen
und Enteignungen der eingesessenen Viehzüchter durch deutsche Siedler,
verschärft durch den Ausbruch der Rinderpest, Hungersnöte und Verarmung.
Den Aufstand, der in einer ersten Welle über 120 Siedlern das Leben
kostete, schlug die Kolonialmacht im August 1904 am Waterberg blutig
nieder. Dem Massaker fielen in der Folge Tausende Herero zum Opfer,
Vertriebene fanden in der Wüste den Tod durch Verdursten, Verhungern,
Entkräftung. Verheerende Bilanz am Ende des Vernichtungsfeldzugs: Bis zu
zwei Drittel der Herero überlebten den erst 1907 offiziell beendeten Krieg
nicht. Vor diesem historischen Hintergrund entwickelt William Kentridge seine
theatralische "Trauerarbeit", wie das anfangs auftretende Objekt eines
alten Grammofons auf einem Schriftband verkündet. Kentridge nimmt nicht dokumentarisch Stellung, sondern verschmilzt mit
mehreren Medien, zu denen auch die perspektivische Bühnenarchitektur
gehört, eine assoziativ vielschichtige Bildwelt. Symbolhaftes steht neben
Projektionen alten Filmmaterials, mechanische Figurinen geben mit
theatralischen Auftritten Bühnenrealität vor, Überblendungen erweitern den
Illusionsraum des Vorgestellten. Der musikalische Hauptbezugspunkt in der Tonspur dieser Installation
ist Mozarts "Zauberflöte" in verfremdeten Zitaten. Dieses Werk kommt
Kentridges eigener rätselhaft-mythischer Forschung quasi geschwisterlich
nahe, liefert Raum für anspielungsreich suggestive Zeichensetzungen.
Kentridge hat "Die Zauberflöte" auch auf die Bühne gebracht, so wie der
aus einer litauisch-deutsch-jüdischen Familie stammende Künstler stets die
Verbindung zwischen Bild und Theater, Kunst und Bühne gesucht hat. In den
neunziger Jahren machten seine Aufführungen der Handspring Puppet Company
weltweit Furore: Hier verpflanzte Kentridge Ikonen der (vornehmlich
deutschen) Weltliteratur wie Faust oder Woyzeck in einen politisch mit
(Süd-)Afrika verbundenen Kontext und zeigte im ambivalenten Spiel von
"realen" Spielern und menschengroßen Puppen neue Dimensionen des
Theaterspiels. Nun ist seine Bühne, die immer auch ein Stück "Welttheater" ist, hier
auf einen Guckkasten "geschrumpft". Welthaltig geblieben (und magisch zu
erleben) ist sie dennoch, auch wenn die dicht verknüpften Beziehungsfäden
sich nicht leicht aufdröseln lassen. Das Salzburger Museum der Moderne hat einen kleinen, intensiven
"Theaterraum" für sein Ausstellungs-"Spektakel" hinzugewonnen. Wenn ab
Samstag auch noch Christoph Schlingensiefs Animatograph aktiv wird, könnte
auf der höchsten Ebene des Ausstellungshauses doch noch "spektakuläre"
Bewegung in die Bühnen-Kunst-Schau kommen.William Kentridge: "Black
box/chambre noir", bis 8. Oktober, Museum der Moderne, tgl. 10-18, Mi.
10-21 Uhr. Vorführungen zu jeder vollen Stunde. |