Kunsthalle Wien: "Tableaux Vivants"
Wandelnder Botticelli, Amazonen und Narziss
Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer
Sabine Folie und Michael Glasmeier haben wieder einmal eine
spannende Schau für die Kunsthalle kuratiert: "Tableaux Vivants. Lebende
Bilder und Attitüden in Fotografie, Film und Video", die noch bis zum 28.
August in der labyrinthisch umgestalteten Architektur von Pauhof in zwei
Etagen präsentiert wird. Der Untertitel gibt den Zeitraum und die
Hauptmedien an: lebende Bilder gab es aber wohl schon in der Antike und
Mara Reissberger setzt mit ihrer wissenschaftlichen Analyse bei den
geistlichen Passionsspielen an, um die modische Wandlung zum
Gesellschaftsspiel in der Goethe-Zeit bei Hofe wie in der bürgerlichen
Welt und den Übergang in die Fotografie genauer zu beleuchten. Julia
Margaret Cameron und David Wilkie Wynfield waren die ersten Fotografen,
die parallel zur Welt der Präraffaeliten Pathosformeln zwischen Theater
und Bildzitat schufen, die auf die psychologische und soziologische
Struktur der viktorianischen Gesellschaft verweisen, ohne die politische
Note, die im 20. Jahrhundert in diese Attitüden zwischen Wirklichkeit und
Imagination einkehrt. Karl Valentin ist dabei das beste Beispiel mit
seiner Fotoinszenierung "Letztes Aufgebot" 1943. Doch auch die erotischen
Verwandlungen eines Duchamp, einer Claude Cahun, von Magritte, Man Ray und
Klossowski bergen eine Menge Zündstoff in Bezug auf ihre Zeit. Das
Interesse an den "Bastarden" zwischen den Künsten, die sich an die
jeweiligen Medien anpassen, ist in der feministischen Kunst, in der
Postmoderne und im steigenden Einsatz von Fotografie, Film und Video noch
größer geworden. Die Tendenz zur "lebenden Skulptur" ist mit Piero
Manzoni in den sechziger Jahren wieder aufgenommen worden; seine "Base
magica" von '61 ist ein wichtiges Objekt in der Schau, dazu sind die
feministischen Hausfrauen-Pathosformeln von Valie Export nach Botticelli,
Reni u.a. sowie die großen Farbfoto-Panoramen von Eleanor Antin nach
Poussin, Lord Leighton, Alma Tadema, Puvis de Chavannes und David gehängt,
die auch als Katalogcover dient. Hanna Wilkie bringt die Gesten einer
fotografischen Amazone ein, die sich zum Gekreuzigten wandelt und die
Brustamputation thematisiert. Gilbert & George, Pierre et Gilles
verbinden die lebende Skulptur mit ihrer homosexuellen Situation, aber
auch Oper und Barockpose kehren wieder bei Orlan (Bernini), Yasumasa
Morimura (Rembrandt), Tom Hunter (Vermeer), Cindy Sherman (Caravaggio) und
Mat Collishaw (Gericault). Mit Boltanski, Bruce McLean, Sugimotos
Abendmahl nach Leonardo, Pasolini, Ulrike Rosenbach u.v.a. (im ganzen 35
Positionen) ist das Thema aber nur angeschnitten - viele andere wären
einzufügen; Jeff Wall wird aber eine eigene Schau gewidmet sein. Vanaessa
Beecroft war schon in der Kunsthalle zu sehen, von den Österreichern wären
Muntean/Rosenblum oder Wurm ergänzbar, aber der Umfang von der
Erinnerungsarbeit, der Parodie bis in die Werbung ist ausreichend, die
Aufbereitung spannend für Besucherinnen und Besucher. Auch der Katalog
mit theoretischem Ein- und Ausklang sehr zu empfehlen.
Erschienen am: 20.08.2002 |
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