684--So normal

Also so richtiges Fieber ist in der Stadt ja nun nicht ob der “2. berlin biennale” ausgebrochen. Aber nun ist sie da und ein erster Schnelldurchgang durch die fast fertige Ausstellung zeigt, dass eine ganze Reihe neuer und zudem diskutabler Arbeiten zu sehen sind. Saskia Bos, der temporäre Kuratorenimport von De Appel in Amsterdam, gab sich drei Schlüsselbegriffe vor: “connectedness”, “commitment” und “contribution”, offiziell übersetzt mit “Denken in Beziehungen, Partizipation und Engagement”. Das klingt für den status quo der Kunst adäquat und irgendwie ist man damit zwar nicht auf der aufregenden, aber doch auf der sicheren Seite.

Dem entsprechend normal fällt die Biennale aus. Es wird viel normale Realität geboten, viel Dokumentarisches, manches mit Humor, es wurde viel gereist und viel geredet. Väter, Transsexuelle, Schaupieler, Omas, Freunde und Fremde, sie alle wurden eingespannt und befragt oder einfach nur beobachtet. Diese Biennale widmet sich dem Alltag in aller Welt, mit und ohne seinen Problemen. Der Trend, dass sich Künstler als die künstlerischeren Dokumentarfilmer sehen, setzt sich fort. Die Genres vermischen sich nicht nur, sondern verschieben sich regelrecht. Die Kunst kehrt mit jeder frisch eingelegten Videokassette mehr und mehr zum Abbild der Realität zurück, sie wird verständlicher und damit auch wieder öffentlicher.

Die Vermittlung von Beziehungen aller Art hat sich zum Volkskunstsport entwickelt. Die Geschichten in ihnen verankern sich im (Kunst)-Alltag und nehmen von dort aus ihren Weg. Vieles ist im Vergleich zu den neunziger Jahren sehr viel lockerer geworden. Die Verbissenheit bezüglich des Bewußtseins hat sich mit der post-Kontext-Generation verflüchtigt. Diskussionsräume sind halt Diskussionsräume, eine matratzenreiche Massage-Instatllation dient halt der Massage, mitzunehmende Tücher lassen ideenreiche Vermutungen zum Tragen sprießen und eine “Minibar (Just For Woman Only)” wird halt als solche einfach nicht betreten. Man wird schon jemanden finden, der es einem erzählt.

Saskia Bos scheint diesen Zug zur Normalität, zum nicht mehr theoriemäßig Überfrachteten oder zum bloß Gehypten, bewußt gesucht zu haben. Sie läßt die Referenzen zu den letzten Jahren mit Renee Green oder Liam Gillick noch aufblitzen. Gleichzeitig versucht sie, aus dem Schatten der Neunziger heraus zu finden, ohne daraus gleich wieder ein Programm zu machen. Sie zeigt die kleinen Veränderungen, sie öffnet Chancen, spielt mit dem Risiko, dass manche Hoffnung nur eine Vermutung bleibt. Damit ist diese “berlin biennale” eine große, aber doch auch bescheidene Ausstellung, was in Berlin selten vorkommt.

Christoph Blase

Daten: 2. berlin biennale, an vier Orten: Kunst-Werke, Auguststraße 69, Postfuhramt auf der Ecke Oranienburger Straße/Tucholskystraße, S-Bahnbögen Jannowitzbrücke, Holzmarktstraße 15-17 (an der Aral-Tankstelle geht’s rein, ist etwas schwierig zu finden) und in den Allianz Treptowers, An den Treptowers 3 (noch ein bißchen was im Foyer), Tel. 030-284450-58, Di, Mi, Do 12.00 – 20.00 Uhr, Fr + Sa 12.00 – 22.00 Uhr, So 12.00 – 18.00 Uhr, bis zum 20. Juni 2001

Zu den Abbildungen:
A) Christian Jankowski
B) Fiona Banner
C) Elisabetta Benassi
D) David Claerbout
E) Kendell Geers
F) Surasi Kusolwong
H) Kutlug Ataman
I) Navin Rawanchaikul
J) Muntean/Rosenblum
K) Fiona Tan
L) Patracia Piccinini
M) Frischer Garten im KW-Innenhof vom “Team temporärer Gärten” (gehört nicht zur Biennale, sondern zum Sommerprogramm der Kunst-Werke)

Bei Universes in Universe findet sich zudem ein Fotorundgang, der die Arbeiten von 30 Künstlern dokumentiert.


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Kommentar:

Die Rede geht von der 'post-Kontext-Generation', was im Bezug die Generation aus den 'Neunziger' als 'Kontext-Generation' unterstellt, welche wiederum den 'Post-Modernen' der 'Achtziger' folgt. Und die, so wusste die 'Beuys-Generation', waren doch bereits oberflaechliche Buergerkinder. In welche IQ-Regionen geraten wir da, wenn wir es weiterdenken??
Hielten nicht schon immer die 'Aelteren' sich im Blick auf ihre eigenen 'jungen Jahre' fuer gescheiter als die gegenwaertig Jungen? Und welch' famoser Kritiker, der den Grad an Intelligenz und Gelassenheit frei vom eigenen Alter und 'in der Welt sein' durchschaut und damit beurteilen kann!

Zeit, wenigstens die stumpfesten Kategorien der Vergangenheit zu ueberlassen.

Bergwald
- Friday, April 20, 2001 at 08:24:52 (CEST)
Kommentar: Generationswahrnehmung

Wie die Faden aus der Spinne,
tropfen Worte aus dem Hirn.
Tun sich leider - immer wieder -
viele Leute drin verwirrn.

Ja, die Denke denkt sich selbst,
spinnt und flicht und schafft ein Netz,
Kommt! wir richten uns drin ein,
machens zu unsrem Gesetz.

Tief im Herzen weiß die Spinne,
daß die Wahrheit so nicht ist,
leider ist's so weit gekommen,
daß sie's Wahre nicht vermisst!
denn es ist ja zu behaglich
in der Nischenhaften Schau,
doch was schreib ich hier fürn Schwachsinn
interessiert ja keine Sau....

Tschauu!

MoMo
- Tuesday, April 24, 2001 at 13:12:49 (CEST)

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