Die posthume Heldenverehrung hat schnell begonnen
MARTIN BEHR Venedig (SN). Die mediale Rezeption fiel zwiespältig aus, die Jury der 54. Kunstbiennale von Venedig war aber voll des Lobes. Der Preis für den besten nationalen Beitrag wurde am Samstag an den deutschen Pavillon verliehen. Wie berichtet, stehen Leben und Werk des deutschen Theater-, Opern- und Filmregisseurs Christoph Schlingensief im Zentrum des in einen Sakralraum transferierten Gebäudes, das den Namen „Egomania“ trug. Schlingensief war bereits für die Biennale nominiert, als er im Vorjahr im Alter von nur 49 Jahren an Krebs starb.Pathos in drei Gedächtnisräumen Kuratorin Susanne Gaensheimer übernahm die Aufgabe, eine Hommage an das Multitalent und Enfant terrible der Kunst zu gestalten. Der Hauptraum wurde zu einem Kirchenraum umgestaltet, es handelt sich um die Bühne der „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“: Jene Rauminstallation also, die Schlingensief für die Ruhrtriennale 2008 entworfen hatte. In seitlich angelegten Gedächtnisräumen wiederum werden Filme des Künstlers beziehungsweise dessen Pläne für ein Operndorf in Afrika gezeigt. Vielfach geübte Kritik an der zu pathosreichen Inszenierung („zu eindimensionale Heldenverehrung“) ließ die Jury unbeeindruckt. Schlingensief habe eine intensive interdisziplinäre Kunstpraxis mit einer starken persönlichen Vision entwickelt, heißt es in der Begründung für die Preisvergabe. Zudem wurde das kuratorische Geschick von Susanne Gaensheimer lobend erwähnt.
Zum besten Künstler der diesjährigen Biennale wurde der 56-jährige Amerikaner Christian Marclay gewählt. Marclay hat sich in seinem Film „The Clock“ auf perfektionistische und zeitraubende Weise mit dem Thema Zeit auseinandergesetzt. „The Clock“, gezeigt in einer kinoähnlichen Situation im Arsenale, ist eine Collage aus Tausenden von (Hollywood-)Filmen, in denen Uhren zu sehen sind. In dem ausgeklügelt geschnittenen, 24 Stunden dauernden Streifen korrespondiert jeder Zeitmesser im Bild – z. B. Armbanduhr, Bahnhofsuhr, Turmuhr oder Küchenuhr – mit der Realzeit im Ausstellungsgelände. Der Film vereint unterschiedliche Genres, vom Western über Musicals bis zu Krimis und Komödien. Alle ausgewählten, in einem zweieinhalb Jahre dauernden Prozess zusammengefügten Ausschnitte haben eines gemeinsam: Die Zeit verrinnt. Marclays furioser Versuch über die Zeit ist ein raffiniertes Spiel mit dem Begriff Echtzeit, freilich auch eine bewegte Bilderansammlung zur Verdeutlichung der Vergänglichkeit des Seins. Urteil der Biennale-Jury: „ein Meisterwerk“. Lobende Erwähnung für Mistkübel Weiter im Preisregen: Der „Silberne Löwe“ für den besten Nachwuchskünstler ging an den 34-jährigen Briten Haroon Mirza. Er hat in Venedig spartanisch wirkende, aber sinnliche Licht-Sound-Installationen realisiert. Eine lobende Erwähnung von der Biennale-Jury gab es für den im Stadtraum von Venedig situierten Litauen-Pavillon. Darius Miksys hat in der Scuola S. Pasquale die Arbeit „Behind the White Curtain“ umgesetzt. Lob gab es auch für die Schwedin Klara Liden und ihre Mistkübelinstallation im Arsenale. Die (leeren) Abfalleimer hängen wie Gemälde an der Wand oder sind wie Skulpturen platziert.