Albertina zeigt "Blauen Reiter" mit eigenen
Beständen und solchen des Lenbachhauses
Ritter Georgs Heldenkämpfe
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Wassily Kandinskys Entwurf zu "Improvisation 30 (Kanonen)" (1913). Foto:
Lenbachhaus/VBK Wien
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Von Brigitte
Borchhart-Birbaumer
![Aufzählung Aufzählung](00092085-Dateien/wzfeld.gif)
Vor hundert
Jahren kam es zur ersten programmatischen Schau der losen
Künstlervereinigung "Der Blaue Reiter" in der Münchner Galerie Heinrich
Thannhauser. Die Revolte gegen konservative Kräfte in der "Neuen
Münchner Künstlervereinigung" war eine Folge der Ablehnung eines Werkes
von Wassily Kandinsky für eine Ausstellung.
Im Juni 1911 war der Name "Die Kette" im Gespräch, im Sommer einigten
sich der Russe und Franz Marc am Kaffeehaustisch in Sindelsdorf auf
zwei ihrer Vorlieben, die Farbe Blau und den Reiter, wobei das Pferd bei
beiden als Totemtier gelten kann.
Die Parallelen zu den ethnologischen Interessen Sigmund Freuds, aber
auch jene von Expressionismus und Hysterieforschung sind leider kein
Thema im Katalogbuch.
Neben der Schau, die Kritik, aber wenig bleibende Resonanz
hervorrief, war der geplante Almanach mit einer ersten Synergie von
bildender Kunst, Musik und Theater eine wirksame Methode, als Avantgarde
zu Wort zu kommen. Arnold Schönberg war der Diskussionspartner
Kandinskys in Sachen Farbklang und Abstraktion. Jedoch wird ihm und den
weniger namhaften Künstlern in der Albertina-Schau kaum Platz
eingeräumt. Das gilt auch für die weder breite noch gute Auswahl von
Arbeiten Gabriele Münters und Marianne von Werefkins.
Die lose Gruppierung schob bereits 1912 die zweite Schau in der
Münchner Kunsthandlung Hans Goltz nach, um auch die wesentlichen Aspekte
der Grafik mit "Schwarz-Weiss", wie auch den um Paul Klee und Alfred
Kubin als Gründungsmitglieder erweiterten Dunstradius des "Geistigen in
der Kunst" vorzustellen.
"Die Malerei allein genügte uns nicht", stellte Kandinsky als
Reaktion auf den Grafikboom aus Frankreich und England hin fest, wo es
innovative Druckerpressen gab und Professuren für Lithografie
eingerichtet wurden. Die Globalisierung der Kunst spielte für den
"Blauen Reiter" eine wesentliche Rolle. Für den Almanach lud man Picasso
und Delaunay ein, dazu galten die russische Volkskunst, afrikanische
Masken und "Naive" wie Henri Rousseau als neue Vorbilder.
Erst nach beiden Weltkriegen schloss die Kunst an diese Ansprüche
wieder an und griff eine breite Debatte von "High and Low" auf. Das ist
ein Grund, warum Aspekte des "Blauen Reiter" und seines Umkreises heute
noch modern wirken. Die Inhalte tun es nicht: Rittermärchen und heilige
George, die den Drachen Salonkunst erlegen und direkt in die von der
Natur gelöste Gegenstandslosigkeit Kandinskys führen, lassen die
esoterische Allianz von Kunst und Religion fühlen, die München wie Wien
in Atem hielt. Kritzelblätter in Tusche oder Kombinationen reiner Farbe
wirken heute überspannt, bemüht und dekorativ. Der politische Kampf
gegen den "Materialismus" mündete parallel wie bei den Futuristen in
eine Kriegsbegeisterung. Falsche Vorstellungen einer Reinigung im
Stahlgewitter endeten mit dem tragischen Tod der Protagonisten Marc und
Macke.
Kritische Faktoren wie diese werden natürlich nicht sichtbar – auch
wenn Lenbachhaus-Kuratorin Annegret Hoberg im Katalog Streitpunkte
zwischen den Künstlern oder Louis Moilliets Spitznamen "Schlabinsky" für
den treibenden Motor Kandinsky erwähnt. In den zwei Sälen der Schau,
die Klee gewidmet sind, kann der innovative Einfluss der Kinderzeichnung
entdeckt werden. Hier ist im Gegensatz zu den frühen Kandinskys aber
der Weg bis in die Bauhauszeit beschritten, wo sich einige Mitglieder
des "Blauen Reiters" in den Zwanzigerjahren wieder trafen. Der breite
zeitliche Rahmen endet 1924 mit Lyonel Feiningers Gründung "Die blauen
Vier".
Ausstellung
Der Blaue Reiter
Annegret Hoberg, Klaus Albrecht
Schröder (Kuratoren)
Albertina
Zu sehen bis 15. Mai
Printausgabe vom Freitag, 04.
Februar 2011
Online seit: Donnerstag, 03. Februar 2011 19:58:00