Farbe erobert Fläche und Raum
Malerei seit 1950. Edelbert Köb, Direktor des Museums Moderner Kunst in Wien, verabschiedet sich mit einem bunten Überblick.
ERNST P. STROBL Wien (SN). Zuletzt huldigt Direktor Edelbert Köb hemmungslos einer seiner Vorlieben. Mit der Ausstellung „Malerei: Prozess und Expansion“ trifft der scheidende Direktor des Museums Moderner Kunst im Museumsquartier in Wien nicht nur im übertragenen Sinn ins Schwarze, er fächert auch nicht einfach die ganze denkbare Farbpalette auf, sondern Farbe erobert in jeder Form die Fläche und wächst sogar in den Raum. Aus dem Sammlungsbestand des Museums werden lange nicht gesehene Werke hergezeigt.
Fast 100 Künstler mit rund 200 Werken bedeuten einen bunten Überblick über die letzten Jahrzehnte, die sich in Schulen und Gruppen fanden und in Schubladen gesteckt wurden, von der Pop Art über den Nouveau Réalisme zum Fluxus und der Arte Povera, der Minimal Art bis zum Wiener Aktionismus. Auch der sogenannte Ostblock mit seiner geometrischen Abstraktion kommt vor. Ohne dass Geschichten in guter narrativer Methode abgebildet werden, formt die Abstraktion neue Geschichten. Neben Tafelbildern in unterschiedlichsten Formaten, von monumentalen, mehrteiligen Bildern wie Gerhard Richters „Das Parkstück“ oder Alan Charltons „Painting in 20 Parts“ bis hin zu förmlich explodierenden Installationen aus Material, Farbe und Licht reicht der Bogen.
In der jüngeren Generation ist eine Abwendung von der malerischen Ernsthaftigkeit hin zu Humor oder Ironie zu bemerken. Christian Eisenberger hat eine wandhohe Installation errichtet, aus einer Gießkanne rinnt Farbe über primitive Kleberinnen zu Boden, dort breitet sich Chaos aus, als ob der Künstler fluchtartig ein kühles Bier im Museumshof der hehren Ansammlung von Kunst vorgezogen hätte. Thomas Feuerstein überlässt in meterlangen Gummischläuchen Algen die Farbenherstellung. Farbe findet überall Platz, auf Platten, Leinwand, Stoffen, ob in extremer Verdünnung oder dicklicher Masse. Zieht Jabob Gasteiger mit seinem Kammgerät Furchen oder erzielt Gerhard Richter mit einer Walze faszinierende Strukturen in Grau, so nützt Pierre Soulages den breiten Pinsel und Walnusssaft für seine fragile Malerei. Jede Möglichkeit wird zum Farbauftrag herangezogen, Spritzen, Tauchen, Schütten, ob es die „reine“ Farbe ist wie das Blau bei Yves Klein oder musterartige Strukturen in Email wie bei Jackson Pollock.
Die Expansion in den Raum bringt viele skulpturale Werke hervor, von Leuchtstoffröhren über Papierarbeiten, geometrische Holzkistenformen bis zu Blechmonstren, bunten Alltag vom roten Kühlschrank Bertrand Laviers bis zu Herdplatten von Rosemarie Trockel. Täuschend echt sieht ein Ziegelstein aus, allerdings ist er aus Stoff, den Rafal Bujnowski unter einen Glassturz stellt. Die Kreativität kennt keine Grenzen, speziell in den letzten fünf Jahrzehnten, als Künstler ihre Zweifel auf die Suche nach einer höheren Wahrhaftigkeit schickten. Bei den Wiener Aktionisten kommt die wahre Lebensfarbe ins Spiel: das Blut.
Die Kuratoren Edelbert Köb und Rainer Fuchs haben es sogar geschafft, eine Art Leitfaden ins Chaos von Farben, Stilen und Zeiten zu bringen. (Bis 3. Oktober) Internet: www.mumok.at