Nackt und fragil
Im Vorraum kullern Schuhe herum wie früher, aber das Wohnzimmer hat sich verändert. Damals, bei meinem bislang letzten Besuch, waren Fotografien und Zeichnungen über den Fußboden verstreut, heute sind es Computerausdrucke von E-Mails und Briefen, auf einem verblasst-bunten Teppich und unterm Tisch. Dunkle, große Augen aus einem überdimensionalen Selbstporträt von Elke Krystufek sahen mich so intensiv an, dass ich mich beobachtet fühlte.
Heute wird der Raum von einem fremden, aber ausnehmend eindrücklichen Frauenporträt beherrscht. Es ist gerahmt von explodierenden Farbfeuerwerken in Blau, Gelb, Weiß, Blumensternen, Musiknoten und bunten Tupfen. Blumig ist auch ein Überwurf über einem verdeckten Bild, eine Stehlampe mit orangem Schirm erinnert an einen chinesischen Papierblumenlampion.
Mittendrin in ihrem Reich aus Kunst und Chaos sitzt die Krystufek mit orange geschminkten Lippen, offenem Haar und bunt gekleidet: der Rock aus gepressten Wollfäden, ein orangebuntes Gilet-Jäckchen mit Fell versetzt, orangefarbene Baumwollstrumpfhosen und eine Brille mit Glitzerrahmen.
Die Künstlerin, die sich in der Tradition der Angry Women wie Valie Export oder Annie Sprinkle versteht, wird Österreich gemeinsam mit Dorit Margreiter und Lois & Franziska Weinberger bei der Biennale Venedig 2009 vertreten. Mit Porträts, einer Installation und einem Video, sagt Krystufek, die aber im Vorhinein nie so genau weiß, wo ihre Ausstellung hinführen wird – sie gestaltet die Räume immer spontan bis zum letzten Moment vor der Eröffnung.
Für Venedig hat sie allerdings einen Film mit den Burgschauspielern Sylvie Rohrer und Robert Koch und eigener Textfolie bereits fertiggestellt: „Ich arbeite zum ersten Mal mit professionellen Darstellern. Mich interessiert der Unterschied zwischen dem, was man als Schauspielen bezeichnet, und dem, was an Nichtschauspiel durch die Anwesenheit der Kamera entsteht“, erklärt Krystufek. „Den (radikalen; Anm.) Dialog habe ich in eine märchenhafte Sprache übersetzt, die kindergeeignet ist.“
So wie sie einige Jahre lang fast manisch besessen Frauen- und vor allem Selbstporträts malte – „mich fasziniert das Abstrakte, die Struktur des Gesichts“ – , wirft sie für Venedig, wie schon in ihrer jüngsten Ausstellung in der Wiener Galerie Meyer-Kainer, ihren Blick auf das andere Geschlecht. Im Computer klickt sie etwa ihr Porträt von Josef Hoffmann an, Erbauer des Österreichpavillons und „Repräsentant der herrschenden männlichen Architektur auf dem Biennalegelände“. Sein Gesicht hat Krystufek mit Hip-Hop-Texten umrahmt, seine Krawatte ist unschwer als Penis mit Hoden zu erkennen.
Was bewegt die Künstlerin, sich (wieder) den Männern zuzuwenden? „Die Kunstgeschichte zeigt nur den männlichen Blick auf die Frau – und der ist immer von Begehren geprägt. Und immer ausbeuterisch. Der weibliche Blick war kaum präsent. Junge-Frauen-Porträts verkaufen sich besser. Ich male aber auch ältere Männer. Es gibt offiziell keine Männerprostitution für Frauen. Die fallen auch nicht über junge Männer her. Mich interessiert die gesellschaftliche Frage, ob Frauen moralischer sind als Männer“, antwortet Krystufek. Und stellt fest, wie viel es noch zu organisieren gebe, zum Beispiel für ihre aktuelle Ausstellung „Der Sex ist der Text“ in der Galerie Nicole von Sengen in Zürich.
„Ich bin meine eigene Hauptgalerie geworden. Ich habe mein eigenes Lager, meine eigene Infrastruktur, und ich vergebe die Kommissionen an sechs Galerien – in Zürich, Amsterdam, Berlin, Los Angeles, Venedig und Wien. Ich lasse die Entscheidungsgewalt nicht mehr aus der Hand“, sagt sie und beruft sich auf schlechte Erfahrungen auf dem Kunstmarkt. „Viele Jahre hatte ich mich an eine Galerie gebunden und erst im Nachhinein festgestellt, dass ich gut verkaufte, ohne jemals entsprechend Geld zu sehen.“ Apropos Geld: Sie hat keine Angst vor der Wirtschaftskrise. Im Gegenteil, sie ist davon überzeugt, dass mehr Freizeit auch mehr Kunst ermöglicht, und dass Investieren in Kunst eine sinnvolle Sinnsuche ist.
Ihr Drang zur absoluten Autonomie, die beim selbstverfassten Pressetext beginnt und bei selbstentworfener Mode endet, gehört ebenso zu den Eigenheiten der Elke Krystufek wie ihre Haltung zu sich selbst. Sie wirkt ja nicht nur wie ein lebendes, farbintensives Kunstwerk, sie versteht sich auch so. Seit Beginn ihrer Karriere machte sie den Körper zur Leinwand, zum Bild und Mittelpunkt ihrer Arbeit, in kühler Selbstbeobachtung. In Form von Selbstporträts, mit Videos und Fotografien oder exzessiven Performances demonstriert sie gesellschaftliche Zustände wie Macht, Schönheit, Diskriminierung, Gewalt und Sex.
Ihr Zugang zur Außenwelt ebenso wie die Begegnung mit sich selbst waren und sind immer schonungslos, riskant grenzüberschreitend im Pingpong zwischen Scham, Schock und Schmerz. Egal, ob sie, damals an Bulimie leidend, bei einem frühen Auftritt in einer Mailänder Galerie eine öffentliche Essbrechaktion startete oder ob sie in der Kunsthalle Wien masturbierte – kühn spielt die Künstlerin, die nicht von ungefähr als „erotisch-hysterische, sexuell-obsessive verführerische Sirene“ bezeichnet wird, mit dem voyeuristischen Verlangen des Betrachters. Denn die Dynamik ihrer Kunst entfaltet sich durch den Blick des anderen.
Was aber löst das Spiel mit ihrem Körper in ihr aus, das möchte ich schon seit Langem wissen: Schamgefühle? Aufgeregtheit? Hat sich ihre Beziehung zum Körper durch die Aktionen verändert? Nein, sagt Krystufek, sie fühle nichts, wenn sie mit ihrem Körper arbeite. „Der Körper wird in der Kunst nur als Bild wahrgenommen, Gefühle lassen sich im Kunstkontext nicht vermitteln. Das, was im Sport funktioniert, passiert im Kunstrahmen nicht.“
Bei aller schillernder Präsenz scheint sie in ständigem Widerspruch zu sich zu stehen. Einerseits beherrscht sie die Kunst, höchste Aufmerksamkeit zu erzeugen. Andererseits taucht die schillernde Künstlerin mit dem ernsten Blick und dem seltenen Lächeln gern in verschiedene Verkleidungen und Identitäten ab. Wenn man ihr beispielsweise bei einer Vernissage unverhofft begegnet, wirkt sie wie ein unerreichbares Kunstwerk in der Vitrine, das man ansehen, aber nicht berühren kann.
Das habe mit ihrer Kurzsichtigkeit zu tun, weil sie die Menschen erst erkenne, wenn sie ganz nahe gekommen seien, erklärt sie ihre schüchtern anmutende Distanz. Diese pflegt Elke Krystufek allerdings auch beim Blick auf ihre steile Karriere: „Was Erfolg ermöglicht, interessiert mich nicht. Viel von dem, was ich durch Erfolg haben könnte, nehme ich nicht in Anspruch.“
Künstlerin zu sein, hat für Elke Krystufek einen tieferen Sinn als bloße Selbstdarstellung: „Kunst ist auch Freude an der Lebensgestaltung.“