30.06.2007 / Feuilleton / Seite 13

Wider die Hochstaffelei!

Die Caricatura V in Kassel bietet eine beeindruckende Bestandsaufnahme komischer Kunst – und ist dabei ernsthafter als die documenta XII

Ambros Waibel
Es sei Teil einer »Ästhetik der Formlosigkeit«, daß sie die vielen Mitarbeiter der Ausstellung namentlich nicht nennen wollten, schreiben die Macher der documenta XII im Vorwort des Katalogs. Zwei Namen fallen dann aber doch, die ihrer gemeinsamen Kinder nämlich. Denn Roger M. Buergel und Ruth Noack sind nicht nur ein Arbeits-, sondern auch ein Elternpaar. Charlotte und Kasimir, erfahren die Besucher, »haben die langen Abwege ihrer Eltern tapfer ertragen.«

Was so zeitgemäß und sympathisch daherkommt, erweist sich nach einem Rundgang durch die documenta XII allerdings als mindestens dreifacher von-der-Leyen. Denn die »eigentlich ästhetische Ebene«, auf der die Werke sich jenseits aller »Krücken des Vorverständnisses« ganz immanent entfalten, »ihre Netze spinnen« sollen, ist nichts anderes als eine totalitär-hausväterliche Zurechtweisung der Kunst, doch bitte schön bei ihren Leisten zu bleiben. Wie Buergel und Noack ihre Kinder darauf vorbereiten, mit den Entbehrungen des Erwerbslebens gut bürgerlich umzugehen, so soll der documenta-Besucher sich auf ein »reines« ästhetisches Erlebnis einlassen; wo das nicht paßt, wird’s passend gemacht: Der taiwanesische Künstler Tseng Yu-Chin etwa zeigt in einer eindrucksvollen Videoinstallation ernste, angespannte Kinder, in deren Gesicht überraschend weißer Joghurt gespritzt wird, unterlegt mit »schluchzendem Gemurmel aus dem Hintergrund«, wie der Katalogtext noch korrekt beschreibt. Was mag der Künstler uns damit wohl erzählen wollen? Wer hier nur »einen kleinen, harmlosen, kindischen Streich«, »grundlegende menschliche Interaktionen« zu erkennen und zu assoziieren vermag, der hat jedenfalls die Sorgen und Gefährdungen von Kindern wahrhaftig lange nicht an sich herankommen lassen.

Vor diesem Hintergund verliert der Wahlspruch der die documenta in Kassel seit 20 Jahren charmant begleitenden Caricatura – »pro bono contra malum« – jeden ironischen Anstrich. Wo die documenta XII die Beziehung zwischen Kunst und Welt zu kappen trachtet, das Bedürfnis des Besuchers, in der Kunst Antworten zu finden (und das Wagnis des Künstlers, solche zu geben) als kunstfremd denunziert, stellen die Caricatura-V-Kuratoren Nils Folckers und Martin Sonntag die Verhältnisse richtig: »Erstaunen und Interesse erwecken die Leitfragen der documenta XII. Demnach fragt sich die Weltkunstausstellung im Jahr 2007, was zu tun ist, wenn das bloße Leben auf die Antike in der Moderne trifft, oder andersherum. Das wirkt natürlich hilflos, und ist es auch. Denn schon lange ist klar und bewiesen, daß, während die sogenannte ernste Kunst noch Fragen aufwirft, die komische Kunst diese schon längst beantwortet hat. Der ernste Künstler versucht noch immer in höchstmöglicher Verklausulierung ein Thema zu formulieren oder gar nur anzudeuten. Die Komische Kunst hingegegen bringt jegliche Fragestellung auf den Punkt, erklärt und gibt Hilfestellung.«

Erstes Hilfsmittel dazu ist der wunderschöne, üppige Katalog mit Texten von Jürgen Roth (über die als Austellungsschwerpunkt in einem »Kabinett der Unsterblichkeit« gewürdigten Klassiker Gernhardt, Pfarr, Poth und Waechter), Albrecht Götz von Olenhusen, F.W. Bernstein und Nils Folckers sowie der Caricatura-Gründer Achim Frenz und Bernd Gieseking.

Folckers hat sich in seinem Aufsatz »Karikaturenstreitereien« – dem zweiten Schwerpunkt der Ausstellung – die Mühe gemacht, den Fall der Mohammed-Karikaturen in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten Revue passieren zu lassen. Er zeigt, wie schnell westliche Eliten – Günter Grass traditionell an vorderster Front – bereit sind, den laizistischen Grundkonsens zu verlassen, indem sie Jyllands-Posten als rechtsradikales Blatt diffamierten und ohne jede Kenntnis der Vorgeschichte der Veröffentlichung drauflosbramarbasierten. Der dänischen Künstlergruppe Surrend, die durch wildes Plakatieren provokanter Motive in den Krisenregionen dieser Welt (zuletzt: Fulda) auf sich aufmerksam gemacht hat, ist eine eigene, kleine Ausstellung gewidmet.

Nun zu denken, der Weg zu den Werken der Caricatura V führe über Abgrenzung von der Hochkultur und Polemik gegen den Mainstream, sei also mit Diskursen gepflastert wie der Kassler Kulturbahnhof pünktlich alle fünf Jahre mit Baustellen, wäre falsch. Bilder von Ernst Kahl oder Michael Sowa sind von einer so zarten wie radikalen Anmut, daß das Epitheton »komisch« ein zusätzlich ehrendes, kein begrenzendes ist. Mit mehr als 70 teilnehmenden Künstlern und über fünfhundert, auf drei Stockwerke des Bahnhofsüdflügels verteilten Werken ist die Caricatura V eine Großretrospektive auf Künstler und ihre Formensprachen, die »Hochstaffelei« – so der Titel der den Besucher begrüßenden Figur Thomas Kapielskis – gern anderen überlassen. Auch der Nachwuchs läßt hoffen. Dem 1976 geborenen Adam erteilen die Herausgeber sogar das letzte Wort:

»Und wie macht ein Mensch?« fragt in Adams Bildchen der Krokodilvater mit Tierfibel in den Klauen sein Kind. »Hilfe! Oh mein Gott! Mein Bein!«, weiß das kleine Krokodil. Kinder wissen halt über den Ernst des Lebens und der Kunst oft mehr, als Erwachsene ihnen zuzugestehen bereit sind.

* Caricatura V, bis 23. September, Südflügel-KulturBahnhof Kassel