27.10.2003 18:10
Eine Geisel im Namen der Freiheit der
Kunst
Über das "Hijacking" eines Begriffes - Eine
Analyse
Im Kampf gegen den bösen Konzern Nike errang der selbsternannte
Hüter der Freiheit der Kunst im öffentlichen Raum, der Verein "Public Netbase",
einen Etappensieg. Das Handelsgericht Wien hat den Antrag, wonach die Netbase
eine mit dem Nike-Logo versehene Box, bei der behauptet wird, Nike habe den
Karlsplatz gekauft und umbenannt, abbauen muss, abgewiesen.
Aus formalen
Gründen: Als ausländisches Unternehmen hätte Nike eine
Prozesskostensichersellung hinterlegen müssen. Für den Fall eines Richterspruche
zugunsten der Logo-Piraten. Das Resultat: Die Box – das "Kunstwerk" – bleibt.
Nike seufzt: Zwischen Österreich und den USA gebe es halt kein
einschlägig-bilaterales Abkommen.
Die Frage, ob rufschädigende
Logopiraterie und nerviges Passantenfoppen Kunst ist, nur weil der, der es tut
sich auf deren Freiheit beruft, zieht man bei Nike vor, nicht zu beantworten.
Damit ist der Konzern in bester Gesellschaft von öffentlichen wie
halböffentlichen Stellen. Denn das sich selbst für intellektuell haltende
Stadtpublikum ist gut dressiert – und antwortet auf den Vorwurf, irgendwer
beeinträchtige die Freiheit der Kunst so brav wie reflexartig: Man ruft
"Pfui!"
Und das, ohne zu fragen. Schließlich ist das Leben kompliziert –
und wohlerworbene Stereotype und Vorurteile helfen durch den Alltag. Dass sich
Gruppen wie Public Netbase dieses Reflexes bedienen, um sich gegen jede Kritik
zu immunisieren, kann man ihnen nicht verdenken: Resultat rechtfertigt Methode.
Aus der Sicht des Akteurs. Aber auch aus der der Öffentlichkeit? Egal: Denn wenn
die Freiheit der Kunst auch noch im im Stadtdiskurs so hippen "öffentlichen
Raum" bedroht ist, sagt eh keiner ein kritisches Wort.
Denn wer neben
dem Sinn auch die Rechtmäßigkeit der Kunstaufstellung in Frage stellt, meldet
sich für die Doppelwatsche an: Als Feind der Freiheit der Kunst zu einen und
Vereitler einer kultiviert-demokratischen Nutzung des öffentlichen Raumes zum
Anderen.
Diese Geiselnahme des öffentlichen (Kunst)raumes funktioniert
auch, wenn der transportierte Inhalt des Werkes und die Motivation, sich damit
in die Auslage zu stellen, weit weniger zweifelhaft sind, als bei der banalen
Nike-Box.
Ulrike Truger etwa – jene Bildhauerin, die ohne Genehmigung zu
haben, ihren Marcus-Omofuma-Stein vor die Oper stellte – verquickt in der
Diskussion um die (von niemandem in Frage gestellte) Notwendigkeit eines
sichtbaren Mahnmals an Polizeigewalt, Behördenwillkür und die Wehrlosigkeit von
der Staatsgewalt ausgelieferten Menschen gerne die Begriffe "Zivilcourage",
"Freiheit der Kunst" und "öffentlicher Raum". Und zwar so, wie es ihrem Anliegen
entgegenkommt. Mit Erfolg: Vor lauter Angst, an ihnen könne der üble Geruch des
repressiven Kunstversklavers (und im konkreten Fall auch noch eines Befürworters
inhumaner Abschiebungsmethoden) hängen bleiben, beeilten sich alle öffentlichen
Stellen zu betonen, man werde – im Sinne der Freiheit der Kunst – im
öffentlichen Raum schon einen Platz finden.
Nur: Wer sich hier der
Diskussion um die Methode nicht stellt, muss auch in Zukunft so – also gar nicht
– argumentieren. Sogar dann, wenn die Verehrer des Nazi- und Jagdfliegers Walter
Nowotny auf die Idee kommen sollten, ihrem Idol einen Gedenkstein zu setzen.
Schließlich wäre so ein Nazistein nach obiger Definition sogar dann Teil einer
in ihrer Freiheit zu verteidigende Kunst im öffentlichen Raum, wenn er vor
Rachel Whitereads Mahnmal am Judenplatz aufpoppte. (DER STANDARD, Printausgabe,
28.10.2003)