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10. Juli 2009
17:47 MESZ

>>> Der Betrachter als eigentliches Werk
Der britische Bildhauer Antony Gormley will im Kunsthaus Bregenz Wahrnehmungen neu ausrichten

 

60 Minuten berühmt: Antony Gormleys Aktion in London.


Meditationen über Ruhm und Talent
Antonys Gormleys Aktion "One and Other" bietet in London eine öffentliche Plattform

Sein 20 Meter hoher Engel des Nordens bewacht seit zehn Jahren die Autobahn bei Gateshead, am Strand des Liverpooler Vororts Crosby starren seine mannshohen Eisenfiguren aufs Meer hinaus. Jetzt lässt der englische Bildhauer Antony Gormley erstmals lebende Menschen für sich sprechen: Der Künstler überlässt ein Podest am weltberühmten Trafalgar Square in London für je eine Stunde 2400 Freiwilligen.

Seit Donnerstag sammeln sie Spenden, singen, tanzen nackt, rezitieren Gedichte - oder stehen still wie die Statuen längst vergessener Generäle. Die kahle Stelle der Metropole gehört seit Jahren zum Lieblingsdiskussionsstoff der Londoner. Unter Schirmherrschaft der Royal Society of Arts platzierten renommierte Künstler wie Rachel Whiteread und Mark Wallinger für je ein Jahr ein Kunstwerk auf dem Podest. Gormley will "die Einzigartigkeit jedes Individuums feiern. Es ist eine zufällige Wahl, ein Querschnitt durch Leben und Zeit."

Mehr als 14.000 Menschen haben sich schon bisher beworben, und längst sind noch nicht all jene ausgewählt, die bis Mitte Oktober, genau 100 Tage, das Podest bevölkern. Vergleiche mit der TV-Sendung Britannien sucht den Superstar weist der Künstler zurück: Mit der Ausbeutung ruhmsüchtiger Möchtegernstars habe seine Kunst nichts zu tun.

Außer originellen Ideen erwartet Gormley von den Teilnehmern nur Ausdauer, eine Stunde lang. "Das ist eine lange Zeit. Wind, Regen, Hitze, Kälte. Die Leute werden dem ausgesetzt." Tatsächlich erlebten gleich die ersten Stundenkünstler die Wechselhaftigkeit eines englischen Sommertages. Als um neun Uhr früh der Gabelstapler die Hausfrau Rachel Wardell (35) aufs Podest hob, regnete es in Strömen. Zuvor hatte noch ein fanatischer Kämpfer gegen das Rauchen die Aktion für sich beansprucht und sein Plakat vorgezeigt. Gormley reagierte gelassen. "Ich hoffe, Sie benehmen sich jetzt wie ein Gentleman und überlassen Rachel das Feld." Der Demonstrant gehorchte und erhielt den Beifall des Publikums.

"Ich finde die Idee fantastisch" , sagte Londons Bürgermeister Boris Johnson. "Es ist eine sehr tiefgründige Meditation über das Wesen von Ruhm und Talent. Hier wird Kunst demokratisiert." Wardell sprach nach ihren 60 Minuten Ruhm von einem sehr friedlichen Erlebnis: "Man fühlt sich sehr weit weg vom Geschehen." Gormley will seine Aktion One Person. One Hour. One & Other filmen und im Internet veröffentlichen.

Ambitionierte Stundenkünstler können sich noch bis 1. September unter www.oneandother.co.uk bewerben. (Sebastian Borger aus London, DER STANDARD/Printausgabe, 11./12.07.2009)

 

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