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24.01.2004 - Kultur&Medien / Ausstellung | ![]() |
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Aktionismus: Schweinepest schmeckt man nicht | ![]() |
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The Hell Fire Dining Club lädt zum Verspeisen von Schimmelsuppen und der österreichischen Fahne. Gastro-Aktionismus mit Anspruch auf Dekadenz - an der Oberfläche. | ![]() |
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Ein Schwein, das an Schweinepest leidet, schmeckt wie ein Schwein, das nicht an Schweinepest leidet. Auch wenn die Schweinepest nach bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnissen für den Menschen ungefährlich ist, gilt der Verzehr von belgischen Pest-Wildschweinen in unseren Breiten kaum als lukullisches Erlebnis. Für den im Project Space der Wiener Kunsthalle gastierenden The Hell Fire Dining Club hingegen schon. Erst die Schweinepest schaffe den Genuss für das Diner, das unter dem Titel Schizo Gourmet steht. Die Gruppe um Radikal-Dandy und Maler Paul Renner sowie die Briten Medlar Lucan und Durian Gray lädt jeden Abend 24 Personen an eine Tafel, wo "fantastisch dekadente Speisen und Cocktails serviert werden", wie der Pressetext verrät. Das offen ausgesprochene Ziel der Gruppe ist also
Dekadenz. Vor Dekadenz kommt immer Langeweile. Doch wahre Dekadenz zu
entdecken ist schwierig geworden. Kaum eine Erfahrung, die einst als
dekadent galt, kann heute nicht mühelos konsumiert werden - im nahen
Swingerclub oder im Top-Restaurant. Der Dekadenz, die der Duden als
Verfall, als sittlichen und kulturellen Niedergang kennt, hat sich Medlar
Lucan mit Büchern genähert. Darunter "The Dekadent Cookbook" mit bizarren
Rezepten wie Ibis-Braten mit Ingwer. Im Dining Club werden nun
Schimmel-Suppe und Lipizzaner-Hoden verzehrt. Die beiden Briten trafen mit
dem Vorarlberger Maler Renner erstmals 1998 zusammen: bei dessen im
Bregenzerwald organisierten Kunst-Veranstaltungen "Mahlzeit". Daran nahmen
der Schweizer Künstler Daniel Spoerri teil und die Elite der europäischen
Kochkunst, die Österreicherin Johanna Maier, der Deutsche Eckart
Witzigmann und der Spanier Ferran Adrià, der mit Geruchsaromen und
Temperaturen bei seinen Gerichten experimentiert. In den letzten Jahren haben sich Bildende Kunst und
gastronomische Welt angenähert. Neben Spoerris Eat-Art stellte Franz West
das gemeinsame Verzehren von Königsberger Klöpsen in den Mittelpunkt einer
Ausstellung. Andererseits gehen die Entdeckungsreisen in der Gastronomie
immer mehr abseits des Mainstreams, in New York haben sich gelangweilte
Esser von den teuren, stets ähnlichen Gerichten der Top-Gastronomie
abgewandt und sich zu Hunderten via Internet den so genannten Chowhounds
angeschlossen. Diese Spürhunde streifen durch den kulinarischen
Mikrokosmos New Yorks und stöbern nach den angeblich besten und
authentischsten Gerichten aus aller Welt. Der Hell Fire Dining Club begab sich ebenfalls durch die
Küchen Europas, auf der Suche nach dem Futter für Dekadenz und radikalen
Hedonismus. Sie besuchten - damals unter dem Namen Hell Fire Touring Club
in Anlehnung an einen britischen Aristokraten-Geheimbund des 18.
Jahrhunderts - den Geburtsort des Alchimisten Cagliostro, Palermo, und
natürlich auch Salò am Gardasee. Dort verewigte sich Gabriele D'Annunzio
mit einem romantisch-größenwahnsinnigen Mausoleum. Zwar gefallen dessen Ergüsse Lucan eher weniger, wie er einräumt, sein egozentrischer Lebensstil beeindruckt den Dandy-Verein aber immens. Alle großen Selbstdarsteller mit Lebensstil werden von den Jüngern der Dekadenz verehrt, so speist man in der Dependance der Kunsthalle am Karlsplatz nicht nur vor Exponaten Brenners, sondern in Angesicht einer Bibliothek zum Thema: Bücher von gefeierten Köchen über Oscar Wilde bis hin zum weniger nobel-eleganten als verrückten Friedrich Glauser. Ein in dieser Mischung aus Tradition, Hedonismus, Alchimie und Dekadenz notwendiges Werk fehlt: das Hauff-Märchen vom Zwerg Nase, der unter Todesangst das Kräutlein für die Königspastete suchen muss. Nähe sucht der Club auch zum Wiener Aktionismus, dessen
Umgang mit Fleisch, Blut und Körper den Klub beeindruckt. So verspricht
Günter Brus, bei einem der Club-Abendessen auch die österreichische Fahne
zu essen - ein Haubenkoch wird dies möglich machen. Ein Brus-Werk gehört
zu den wenigen klassischen Ausstellungsstücken in dem kleinen
Kurzzeit-Restaurant. Am Plafond des Ausstellungsraums erinnern entliehene
Tierskelette an den Ursprung des Genusses. Kontakt gibt es auch zu Hermann
Nitsch, der in seinem Orgien-Theater mit der religiös inszenierten
Schlachtung aufhört, wo der Club mit dem Essen weiter macht: beim Essen.
Dort liegt die Positionierung der Künstler: Aktionismus für die
Gastro-Seiten des Wallpaper-Magazins. Wie Wildes Dorian Gray geht es dem
Club um die Oberfläche. Wie meinte Herr Wilde selbst: "Es gelingt nur den
großen Meistern des Stils, dunkel zu sein." Lehrlinge bemühen sich nur.
Info: www.kunsthalle.at |
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