Der Meister und sein Werk: Jeff Wall vor seinem Bild "Man with a Rifle", das derzeit im Rahmen der Ausstellung "Hyper Real" im Mumok in Wien ausgestellt ist.
Andrea Schurian traf ihn vorher zum Interview.
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STANDARD: Ein Fotokünstler referiert auf einem Malerei-Symposium. Worüber?
Wall: Ironischerweise sprechen bei diesem Symposium überhaupt keine Maler. Ich habe mir Gedanken über die Argumente für und gegen die Malerei gemacht.
STANDARD: Sie interessierten sich sehr für Kunstgeschichte, für Malerei auch der Alten Meister. Ist für Sie Fotografie eine Art Malerei mit anderen Mitteln?
Wall: Als ich in meiner Jugend Kunstgeschichte studierte, wollte ich kein Kunsthistoriker werden; aber mich interessierten Kunst und Künstler, unabhängig von Epochen. Gute Kunst ist immer zeitgemäß, immer Jetzt. Ich sah nie große Unterschiede zwischen Malerei und Fotografie als Genres. Natürlich sehe ich eine Verwandtschaft zwischen dem, was ich an Rembrandt liebe, und dem, was ich beispielsweise an den Fotografien von Walker Evans schätze. Es verbindet sie mehr, als sie trennt, das ist doch ganz offensichtlich. Ich mache das Gleiche wie ein Maler: Ein Bild ist beide Male das Ziel, nur der Weg ist unterschiedlich.
STANDARD: Viele Ihrer Fotos wirken wie Schnappschüsse, wie Reportagefotos, sind aber meist präzise inszeniert. Warum?
Wall: Natürlich kann auch bei Reportagefotos etwas Unvorhergesehenes passieren. Der Unterschied zu meiner Arbeit ist aber der: Wenn ein Fotojournalist zu arbeiten beginnt, weiß er im Prinzip genau, wie sein Tag ablaufen, welche Fotos er machen wird. Ich nicht. Für mich gibt es nie nur den einen richtigen Weg.
STANDARD: Das Foto "Men Waiting" könnte ein Schnappschuss sein, in Wirklichkeit ist es von langer Hand vorbereitet. Wann entscheiden Sie die Vorgehensweise?
Wall: Ich entscheide nie. Die Situation ist entscheidend. Für mich ist das Motiv nur ein Startpunkt, eine Möglichkeit unter vielen, ein Foto zu machen.
Im speziellen Fall habe ich die Männer über Jahrzehnte immer wieder an derselben Ecke herumstehen gesehen, ehe mir eines Tages - keine Ahnung, warum - auffiel, wie interessant sie sind. Aber ich sah auch den Ort mit neuen Augen: Es war kein spannender Platz für das Foto. Also war ich so frei und arrangierte die Szene an einem Platz, der das gewisse Etwas hatte.
STANDARD: In der Mumok-Ausstellung "Hyper Real" hängt Ihr Bild "Man with a Rifle". Der Mann hält aber keine Waffe in der Hand. Er tut das nur in der Fantasie des Betrachters.
Wall: Ich schätze es, wenn der Betrachter, angeregt von einem Foto, quasi seinen eigenen Roman, die Kurzgeschichte dazu schreibt. Das Bild, die Fotografie kann nur den Anstoß geben. Das ist übrigens keine Spezialität von mir, das passiert bei allen guten Bildern.
STANDARD: Filmemachen hat Sie nie interessiert?
Wall: In den frühen 1970ern habe ich, wie viele Künstler, mit Film experimentiert. Heute interessiert mich das nicht mehr. Ich möchte, dass das Kino in Ihrem Kopf stattfindet. Das ist doch viel billiger.
STANDARD: Wie war es für Sie in Ihren Anfängen in den 1960er-Jahren? Fotografie war noch nicht wirklich in der Kunst angekommen, man siedelte sie eher in der Nähe des Journalismus an?
Wall: Das stimmt. Fotografie galt als ungewöhnlich, weil sie eine große Nähe zur Reportage hatte und immer noch hat. Aber das ist eben nicht das gesamte Spektrum. Ich folgte damals einfach meinen Gefühlen: Ich war unorthodox - ich liebte es als junger Mensch sehr, unorthodox zu sein! Es macht doch immer wieder Spaß, die Gesellschaft zu ärgern. Damals hatte Fotografie noch keine eigene Identität, obwohl es natürlich auch damals schon alle Spielarten gab. In den Zwanzigerjahren hat man ja den Unterschied zwischen Malerei und Fotografie noch viel mehr herausgestrichen, das war damals sicherlich auch wichtig. Wir können aus heutiger Sicht nicht sagen, das wäre zu limitiert oder falsch. Doch diese Zeit ist vorbei. Heute ist alles möglich.
STANDARD: Als Sie vor Jahren zu Spezialeffekten befragt wurden, sagten Sie: Es sei paradox, dass Bilder immer "handgemachter" aussehen, je mehr sie mittels Computern bearbeitet werden. Wie geht es Ihnen heute mit Computer- und Foto-Spezialprogrammen?
Wall: Alles ist handgemacht, auch die Maschine muss von einem Menschen bedient werden. Doch ich denke nicht mehr über Spezialeffekte nach, weil jedes Bild speziell ist, vom Schnappschuss bis zur komplexen Inszenierung.
STANDARD: An welchen Projekten arbeiten Sie gerade?
Wall: Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil sich immer alles ändern kann. Manchmal kann ein kleines Projekt plötzlich sehr groß werden und umgekehrt. Es kann passieren, das ich Menschenmengen fotografiere. Doch letztlich bleibt nur ein leerer Raum übrig.
STANDARD: Sie sind vom Ergebnis Ihrer Arbeit selbst überrascht?
Wall: Es ist die einzige Möglichkeit, gute Arbeit zu machen. (Andrea Schurian, DER STANDARD - Printausgabe, 13./14. November 2010)
Jeff Wall (64) Der kanadische Fotokünstler stellt in den wichtigsten Museen weltweit aus. Seine Bilder entstehen nicht seriell oder als Werkgruppen, sondern sind einmalige Kompositionen: manche absichtsvolle Inszenierungen des Alltäglichen, andere inspiriert von Romanen, Gemälden oder Skulpturen.
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