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Arik Brauer: "Kunst, die den Menschen wiegt"

16.05.2009 | 17:49 | von Norbert Mayer und Daniela Tomasovsky (Die Presse)

Der vielbegabte Künstler Arik Brauer wurde vor 80 Jahren in Wien als Sohn eines jüdischen Schuhmachers geboren: Zum runden Geburtstag zeigt das Dommuseum derzeit die Ausstellung "Arik Brauer und die Bibel".

Herr Brauer, Sie sind in vielen Künsten zu Hause. Studiert haben Sie die Malerei. Im Wiener Dommuseum sind derzeit Werke von Ihnen zu sehen, die einen Bezug zur Bibel haben. Die Farbe Rot ist in den Bildern vorherrschend. Hat das einen tieferen Sinn?

Arik Brauer: Wenn man einen Menschen bittet, eine Farbe zu nennen, sagen 80 Prozent Rot. Es ist die Farbe, die am stärksten unser Unterbewusstsein beeinflusst. Rot hat die ganze Skala besetzt. Es gibt ein helles Rot, das die Italiener sehr häufig verwendet haben, das eine unerhört beruhigende Wirkung hat. Und es gibt ein Rot, das sehr erregend, aufregend, sogar beängstigend sein kann. Es ist bestimmt kein Zufall, dass das Blut rot ist.

Wie ist Ihre Beziehung zu Farben? Legen Sie Wert auf kostbares Material?

Malen ist nicht eine Frage des Materials. Der Hundertwasser hat in Frankreich eine Zeitlang aus Ziegelsteinen Farbe hergestellt – und damit wahrscheinlich seine besten Bilder gemalt. Die Malerei ist eine Kunst, zu der man außer Talent nichts braucht. Die Farbkraft entsteht durch das Nebeneinander von Farben. Das stärkste Rot wirkt nicht, wenn man daraus ein einfärbiges Plakat macht. In meiner Malerei habe ich immer das angestrebt, was die Italiener „sfumato“ nennen, also ein weiches Sich-Steigern der Farbe. Wenn ein Braun langsam röter wird und sich steigert bis zum absoluten Höhepunkt, dann hat das Leuchtkraft. Das ist kein technischer Trick, das muss man einfach wollen.

Das Malen-Wollen war bei Ihnen schon als Kind ausgeprägt. Wie kam es dazu? Wurden Sie gefördert? Wurden Sie von Ihren Eltern oder einer Großmutter dazu angehalten?

Nein, meine Großmutter war das nicht. Der Mensch wird geboren mit dem Potenzial, sprechen zu lernen, Musik zu machen und zeichnen zu können. Ich habe als kleines Kind begonnen zu malen. Mit zehn Jahren konnte ich ein Porträt meiner Mutter machen. Ich habe mit großer Leidenschaft gearbeitet. Andere haben das gesehen, und dann kam der Begriff „Wunderkind“ auf – das hat mir natürlich schon auch behagt.

Wer hat Sie beeinflusst? Welche Vorbilder gibt es? Und beneiden Sie jemanden?

Ich glaube nicht, dass Neid meine starke Seite ist. Schon gar nicht beneide ich Maler, die gar nicht mehr leben. Ich habe das auch meinen Studenten an der Akademie immer gesagt: Die sicherste Methode, nichts zu leisten, ist, sich an anderen zu orientieren. Das heißt nicht, dass man vom Himmel herunterfällt. Selbstverständlich hat jeder einen geistigen Vater, eine geistige Mutter. Wir, die wir später die Wiener Schule des Phantastischen Realismus genannt wurden, haben uns schon stark an den Surrealisten der 20er-, 30er-Jahre orientiert, vor allem an Salvador Dalí. Und natürlich hat uns das Kunsthistorische Museum inspiriert mit seiner Brueghel-Sammlung. An der Akademie gibt es dieses wunderbare Triptychon von Hieronymus Bosch, das hat mich sicher geprägt. Aber ich habe mich in einem angemessenen Zeitraum geistig selbstständig gemacht.

Wie kamen Sie auf die Bibelthemen?

Ich bin zwar einmal in der Woche in die jüdischen Religionsstunden gegangen, aber ich bin aus einem nichtreligiösen Haus und war mein ganzes Leben lang nicht religiös. Doch in einem bestimmten Alter habe ich Hebräisch gelernt und begonnen, die Bibel zu lesen. Ich sehe in der Bibel das überragende Kunstwerk. Und in diesem Sinn ist sie überirdisch. Sie ist eine derartige Konzentration von Wissen um den Menschen. Das ist aber nur die eine Seite. Die Bibel kommt meiner Malerei natürlich sehr entgegen. Sie ist ein bisserl so Phantastischer Realismus. Vieles ist historisch, aber es gibt auch grandiose Erfindungen. Dass das Meer sich teilt, das muss man sich vorstellen. Der sprechende Esel, der Wind Gottes – das sind Bilder, bei denen du als Phantast gefordert bist. Oder das Hohelied des Salomon – was für eine Lyrik! Da können alle einpacken. Es hat Tiefe und ist so modern. Hinreißend!

Das gegenständliche Malen ist wieder im Kommen. Fühlen Sie sich bestätigt?

Der Mensch liebt das Erzählen, die erzählerische Malerei. Ich muss ehrlich sagen, ich habe die abstrakte Malerei in meinen Anfängen schon als Revolution verstanden. Einige hochbegabte Studenten – Hollegha, Mikl – haben begonnen, abstrakt zu malen. Aber ich habe gewusst, dass das für mich nicht relevant war. Wir waren die Ersten, die eine Nachkriegsmalerei präsentiert haben. Die wurde zunächst abgelehnt, weil sie zu modern war. Fünf Jahre später wurde sie dann abgelehnt, weil sie zu konservativ war. Es kam eine neue Generation von Kritikern, die unsere Malerei als Hemmschuh empfunden hat. Es gab in den 50er-, 60er-Jahren große Bestrebungen in Österreich, sich vom alten Image zu lösen. Wir sind dann nach Paris gegangen – ich habe dort sieben Jahre gelebt, wurde ausgestellt. Paris war das absolute Zentrum, und das Zentrum kann sich Extravaganz leisten – die Provinz nicht.

Warum kamen Sie zurück?

Ich war gut verwurzelt, hatte einen Freundeskreis, konnte die Sprache gut. Es gab mehrere Gründe: Meine Mutter ist alt geworden, meine Schwester kam aus Amerika zurück und Ski fahren wollte ich auch wieder – aber vor allem ist damals der Kunstmarkt aus Paris abgewandert. Das hat steuerliche Gründe gehabt.

Wie wichtig ist für Sie der Verkauf?

Niemand malt nur für sich; wer das sagt, lügt. Manchmal malt man nur für eine Person. Ich lebe davon, dass ich Bilder verkaufe. Ich habe nichts geerbt, alles „ermalt“. Und der Verkauf an einen Privaten ist natürlich die Bestätigung par excellence. Ich habe 1800 Bilder gemalt und fast alles verkauft. Das können ja nicht alles Kitschkäufer sein. Museumsdirektoren haben da einen anderen Zugang. Da gab es schon eine große Gehässigkeit.

Ist das Malen für Sie eine Qual?

Nein, genauso wenig wie das Atmen eine Qual ist. Ich bin auch eher ein Workaholic. Krisen habe ich immer arbeitend überwunden. Aber da sind die Menschen ganz unterschiedlich. Es gibt nicht das allein Seligmachende. Manche sagen, Kunst muss verstören. Natürlich soll es auch Kunst geben, die verstört. Aber es muss auch Kunst geben, die den Menschen wiegt. Was wären sonst Schubert oder Mozart oder die herrlichen Künstler aus dem Biedermeier mit ihren Blumenstillleben? Menschen sind glücklich, das anschauen zu dürfen.

Glauben Sie an ein Leben nach dem Tod?

Ja, aber nicht an mein Leben. Andere werden leben. Ich gehe davon aus, dass ich dort hinkomme, wo ich war, bevor ich geboren wurde – und ich kann mich an nichts erinnern. Es ist doch wahnsinnig egoistisch zu sagen, ich bin so toll, ich kann nicht verschwinden. Ich habe Kinder und die haben Kinder und die Bäume wachsen, die Welt geht ohnehin weiter. Das ist doch wunderbar.

1938 waren Sie neun Jahre alt. Ist die Zeit noch präsent?

Ich bin auf die Butterseite gefallen. Ich war in keinem KZ, ich habe überlebt. Wer diese Zeit als Jude überlebt hat, ist natürlich geprägt. Ich habe jahrelang von meinem Vater geträumt, der zugrunde gegangen ist. Das hat sich aber mit den Jahrzehnten verflacht. Ich habe keine offenen Wunden, sonst würde ich hier nicht leben. Ich habe vielleicht Narben. Ich kann mich an alles erinnern – aber der Bub aus der Erinnerung, das bin nicht mehr ich.

Können Sie Ihr unheimliches Gemälde „Hakenkreuzigung“ im Dommuseum erläutern?

Ich hab mir gleich nach der Nazizeit eingebildet: So, jetzt hau ich zurück. Ich habe dann schnell erkannt, dass ich das nicht kann. Gerade die Tatsache, dass ich jetzt im Alter eine wirkliche Distanz habe, hat mir ermöglicht, dass ich das mache. Es ist eine ziemlich illustrative Darstellung – man hat die Menschen im KZ mit den Händen am Rücken aufgehängt, die Hunde auf sie gehetzt. Die „Kreuzigung“ ist etwas, das vor Jesus da war und nach Jesus da sein wird.

Was empfinden Sie, wenn Sie an Hrdlickas Straßen waschenden Juden vorbeigehen?

Ich bin mit Hrdlicka sehr gut befreundet. Ich betrachte das als Jahrhundertkunstwerk, wobei der Jude am Fußboden die Schwachstelle des Kunstwerks ist. Er berührt mich nicht. Ich habe auch die Straße gewaschen, aber ich war zehn Jahre alt und spürte die Demütigung nicht so. Der Felsen aber, aus dem die Gliedmaßen herauskommen, das ist ein Hammer.


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