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Kunstberichte
Die Grenzen zwischen Kunst und Design sind in den letzten Jahren deutlich durchlässiger geworden

Von der Schönheit des Nützlichen

Das 
"Bookworm"-Regal des Designers und Architekten Ron Arad – ein 
Beleg für das Zusammenwachsen von Kunst und Design. Foto: corbis

Das "Bookworm"-Regal des Designers und Architekten Ron Arad – ein Beleg für das Zusammenwachsen von Kunst und Design. Foto: corbis

Von Christof Habres

Aufzählung Kunst und Design zwischen Funktion und Emotion.
Aufzählung Beide Sparten liefern sich Konkurrenzkampf kreativer Kräfte.
Aufzählung Ron Arad Architekt, Designer und Künstler in Personalunion, feiert seinen 60. Geburtstag.

Wien. Als sie gestohlen wurde, galt sie als das teuerste Kunstwerk Österreichs. Die Saliera des italienischen Renaissancekünstlers Benvenuto Cellini wurde im Jahr 2003 auf einen Versicherungswert von 50 Millionen Euro geschätzt. Das Salzfass ist die einzig erhaltene Goldschmiedearbeit des Künstlers, eine allegorische Darstellung des Planeten Erde mit dem Gott Neptun und der Göttin Tellus. Ein künstlerisches Oeuvre höchsten handwerklichen Geschicks.

Verfolgt man jedoch die Diskussionen, die zu Kunst und/oder Design geführt werden, und macht den Schritt zum Ausgangspunkt der Auseinandersetzung, dann ist Österreichs wertvollstes Kunstwerk eine zwar einzigartige, aber doch nur eine – etwas despektierlich formuliert – Designer-Preziose. Ein Philip Starck der Renaissance sozusagen.

Design definiert sich grundsätzlich über seine Zweckmäßigkeit, über seinen Nutzen und die Möglichkeit einer seriellen Produktion. So gesehen sind Design und Kunst zwei vollkommen verschiedene Dinge und haben im Grunde nicht viel gemeinsam, wie Tulga Beyerle, Designexpertin, Autorin und Kuratorin, klarstellt. Kunst muss a priori für nichts stehen und nichts können, fügt der Designer Florian Holzer hinzu. Design hingegen soll klar definierten Ansprüchen, Aufträgen gerecht werden, Probleme lösen, das Leben einfacher machen.

Gegenpole Design und Kunst

Der Designer arbeitet als Dienstleister in verschiedenen Branchen, wie in den klassischen Sektoren Möbel, Geschirr, Lampen bis zum Design in der Autoindustrie oder Medizintechnik. Er wird von Auftraggebern mit einer meist konkreten Problemstellung konfrontiert und erarbeitet dafür Lösungsvorschläge. Die dann im besten Fall zu einem seriell hergestellten Produkt werden. Bei der Kunst sind diese Grundbedingungen nicht gegeben.

Das heutige Bild eines Künstlers zeichnet meist einen von Auftraggebern unabhängigen, kreativen Geist, der in seinem Atelier Arbeiten schafft, die an und für sich keinen unmittelbaren Zweck erfüllen. Primär ist es einmal ein Schaffensprozess, in dem die "Selbstverwirklichung" des Künstlers im Zentrum steht, wie es Florian Holzer, der neben seinem Design-Studium an der Angewandten auch Malerei bei Arnulf Rainer und Georg Baselitz studiert hat, ausdrückt.

Verwischung der Grenzen

Nur existiert dieses meist idealisierte Bild des Künstlers als unabhängiger, selbstbestimmter Mensch auf der jahrhundertealten Skala der Kunstgeschichte vergleichsweise nicht lange. Sind all diese Kunstwerke der letzten Jahrhunderte, die in Museen, Sammlungen oder Palästen zu bewundern sind, aufgrund der Definition nicht Design oder zumindest kunsthandwerkliches Design? Denn von Unabhängigkeit kann nicht gesprochen werden, wenn das Gros dieser Werke vom Klerus, der Aristokratie oder den Herrschern beauftragt, bezahlt wurde und einem bestimmten Zweck – bei aller künstlerischen Ausformung – zu dienen hatten.

Der Künstler zu dieser Zeit war vielmehr ein Generalunternehmer, der aufgrund seiner kreativen und handwerklichen Fähigkeiten einen Palazzo entwerfen konnte, für die exklusive Einrichtung verantwortlich war und dann noch ein Deckenfresko malen musste. Von den aufwendigen, einzeln angefertigten Intarsien ganz zu schweigen.

Erst mit der Aufklärung, der Säkularisierung und der Entwicklung einer bürgerlichen Gesellschaft nähert sich das Bild des Künstlers immer mehr dem heutigen an. Design als wichtiger Bestandteil der Kreativindustrie entwickelt sich mit der Industrialisierung und die Möglichkeiten und Vielfältigkeit angewandten Designs sind vorherrschender Diskussionsstoff während der ersten Weltausstellung 1851 in London. Seit diesen Jahren verlaufen die Grenzen dieser Welten parallel, mit wenigen Überschneidungen. Zu sehr waren sie mit sich selbst beschäftigt, mit der Emanzipation gegenüber als auch gegenüber des Marktes. Das hat sich in den letzten zehn Jahren geändert, wie Tulga Beyerle in ihrer Beobachtung feststellen konnte.

Die Grenzen sind durchlässiger geworden und in manchen Fällen sind sie gänzlich verschwunden. Einige Designer sind ausgebrochen aus dem System der beauftragten Kreativen und versuchen sich an Entwürfen und Realisierungen, die eine dezidiert künstlerische Sprache haben. Das renommierteste Beispiel ist der israelische Architekt, Designer und Künstler Ron Arad. Von der Architektur kommend (sein letztes Bauwerk ist das Designmuseum in Holon, Israel), wendet er sich immer mehr dem Design zu und ist damit enorm erfolgreich. Es ist aber nicht die letzte Sprosse seiner kreativen Entwicklung und seit einigen Jahren sind Arbeiten, definierte Kunstwerke, von ihm in vielen bedeutenden Galerien zu bewundern. Darunter befinden sich Einzelstücke wie Stühle, die er durch bewusstes Auftragen von Ölfarbe zu Unikaten machte. Und er leistet dadurch der Diskussion, wodurch etwas zu Kunst wird, wieder Vorschub. Denn der Käufer kann diesen Stuhl verwenden, ihm seinen ursprünglichen Zweck zuführen, oder er kann ihn auf ein Podest stellen, mit einem "Bitte nicht berühren"-Schild versehen und die Sitzgelegenheit wird zum Kunstwerk.

Künstler als Formgeber

Aber nicht nur Designer verorten sich plötzlich in der bildenden Kunst, sondern auch Künstler übernehmen die Rolle eines (Möbel-)Gestalters und Formgebers. Wobei man sich, wenn man die – eher ungemütlichen – Stühle und Tische des Künstlers Franz West betrachtet, die Frage stellt, ob es sich hier um laienhaftes Design oder ein spannendes Nebenprodukt seiner künstlerischen Arbeit handelt. Diese Frage sollte von Galeristen beantwortet werden, die diese Stühle tatsächlich verwenden und ganze Kunstmessen lang auf ihnen zu sitzen haben.

Faktum ist, dass Kunst und Design immer näher zueinander rücken. Nicht nur begrifflich, der Ausdruck "Artdesign" ist schon fixer Bestandteil im Wortschatz von Kunsthändlern, Kuratoren und Sammlern, sondern auch räumlich. Das beweist sich bei verschiedenen Kunstmessen: Die Art Basel hat an beiden Standorten – in Basel und Miami – eine

Designmesse als Nachbarn, ebenso die Kunstmesse in Rotterdam. Was aufgrund finanzieller Gegebenheiten verständlich ist, denn die Klientel ist bei beiden Events nahezu deckungsgleich. Eine Nachbarschaft, die eine preisliche Annäherung exklusiver Designprodukte an das hohe Preisniveau von Kunstwerken mit sich brachte, wie Tulga Beyerle beobachten konnte. Unterstützt wird diese Tendenz durch führende Galerien wie Gagosian, die Designern ihre Ausstellungsflächen auch als Präsentationsplattformen zur Verfügung stellen.

Anhand dieser Beispiele wird die gegenseitige Beeinflussung von Kunst und Design sichtbar, aber es bleibt, gemessen an deren Vielfältigkeit, doch ein sehr kleiner, überschaubarer Ausschnitt. Design hat viel eher damit zu kämpfen, dass der Begriff inflationär verwendet wird. Heutzutage kann fast schon alles "designt" werden – vom Menschen über den Garten bis zur Ausstellung. Und diese unpräzise Vermischung der Begriffe bringt es mit sich, dass Kunst und Design oft in einen Atemzug genannt werden und das Grundkonzept übersehen wird. Oder wie es der Designer Florian Holzer radikal auf den Punkt bringt: "Kunst ist Emotion, Design ist Funktion."

Aufzählung Zur Person

Tulga Beyerle studierte an der Hochschule für Angewandte Kunst Wien. Die Designexpertin ist Autorin, Kuratorin und Leiterin der "Vienna Design Week". Von ihr gerade erschienen: "Design in Wien 2000-2010".
Website Neigungsgruppe Design
Website Vienna Design Week

Florian Holzer studierte Design an der Angewandten. Nebenbei Malerei bei Arnulf Rainer und Georg Baselitz. Lebt und arbeitet als Designer in Wien.

Ron Arad ist einer der renommiertesten Designer weltweit. Er kommt ursprünglich aus der Architektur, wollte aber nicht als "kleiner" Architekt in einem großen Büro enden. Er konzentriert sich seiner beruflichen Ausrichtung in der Folge auf Design. Unterrichtet von 1993 bis 1995 in Wien. Einen weltweiten Erfolg landete er unter anderem mit seinen "Big Easy"-Lehnstuhl und dem "Bookworm"-Regal.
Website Ron Arad

Siehe auch:

Aufzählung extra-Interview mit Alberto Alessi, Chef der norditalienischen Designfabrik, über Verkaufsstrategien, Design-Embryos, die Postmoderne und Bestattungsurnen made in Austria
Website Alessi Design

 

Printausgabe vom Freitag, 04. Februar 2011
Online seit: Donnerstag, 03. Februar 2011 17:44:00

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