Die Grenzen zwischen Kunst und Design sind in den
letzten Jahren deutlich durchlässiger geworden
Von der Schönheit des Nützlichen
|
Das "Bookworm"-Regal des Designers und Architekten Ron Arad – ein Beleg
für das Zusammenwachsen von Kunst und Design. Foto: corbis
|
Von Christof Habres
![Aufzählung Aufzählung](00092082-Dateien/wzfeld.gif)
Kunst und
Design zwischen Funktion und Emotion.
![Aufzählung Aufzählung](00092082-Dateien/wzfeld.gif)
Beide Sparten liefern sich Konkurrenzkampf
kreativer Kräfte.
![Aufzählung Aufzählung](00092082-Dateien/wzfeld.gif)
Ron Arad
Architekt, Designer und Künstler in Personalunion, feiert seinen 60.
Geburtstag.
Wien. Als sie gestohlen wurde, galt sie als
das teuerste Kunstwerk Österreichs. Die Saliera des italienischen
Renaissancekünstlers Benvenuto Cellini wurde im Jahr 2003 auf einen
Versicherungswert von 50 Millionen Euro geschätzt. Das Salzfass ist die
einzig erhaltene Goldschmiedearbeit des Künstlers, eine allegorische
Darstellung des Planeten Erde mit dem Gott Neptun und der Göttin Tellus.
Ein künstlerisches Oeuvre höchsten handwerklichen Geschicks.
Verfolgt man jedoch die Diskussionen, die zu Kunst und/oder Design
geführt werden, und macht den Schritt zum Ausgangspunkt der
Auseinandersetzung, dann ist Österreichs wertvollstes Kunstwerk eine
zwar einzigartige, aber doch nur eine – etwas despektierlich formuliert –
Designer-Preziose. Ein Philip Starck der Renaissance sozusagen.
Design definiert sich grundsätzlich über seine Zweckmäßigkeit, über
seinen Nutzen und die Möglichkeit einer seriellen Produktion. So gesehen
sind Design und Kunst zwei vollkommen verschiedene Dinge und haben im
Grunde nicht viel gemeinsam, wie Tulga Beyerle, Designexpertin, Autorin
und Kuratorin, klarstellt. Kunst muss a priori für nichts stehen und
nichts können, fügt der Designer Florian Holzer hinzu. Design hingegen
soll klar definierten Ansprüchen, Aufträgen gerecht werden, Probleme
lösen, das Leben einfacher machen.
Gegenpole Design und Kunst
Der Designer arbeitet als Dienstleister in verschiedenen Branchen,
wie in den klassischen Sektoren Möbel, Geschirr, Lampen bis zum Design
in der Autoindustrie oder Medizintechnik. Er wird von Auftraggebern mit
einer meist konkreten Problemstellung konfrontiert und erarbeitet dafür
Lösungsvorschläge. Die dann im besten Fall zu einem seriell
hergestellten Produkt werden. Bei der Kunst sind diese Grundbedingungen
nicht gegeben.
Das heutige Bild eines Künstlers zeichnet meist einen von
Auftraggebern unabhängigen, kreativen Geist, der in seinem Atelier
Arbeiten schafft, die an und für sich keinen unmittelbaren Zweck
erfüllen. Primär ist es einmal ein Schaffensprozess, in dem die
"Selbstverwirklichung" des Künstlers im Zentrum steht, wie es Florian
Holzer, der neben seinem Design-Studium an der Angewandten auch Malerei
bei Arnulf Rainer und Georg Baselitz studiert hat, ausdrückt.
Verwischung der Grenzen
Nur existiert dieses meist idealisierte Bild des Künstlers als
unabhängiger, selbstbestimmter Mensch auf der jahrhundertealten Skala
der Kunstgeschichte vergleichsweise nicht lange. Sind all diese
Kunstwerke der letzten Jahrhunderte, die in Museen, Sammlungen oder
Palästen zu bewundern sind, aufgrund der Definition nicht Design oder
zumindest kunsthandwerkliches Design? Denn von Unabhängigkeit kann nicht
gesprochen werden, wenn das Gros dieser Werke vom Klerus, der
Aristokratie oder den Herrschern beauftragt, bezahlt wurde und einem
bestimmten Zweck – bei aller künstlerischen Ausformung – zu dienen
hatten.
Der Künstler zu dieser Zeit war vielmehr ein Generalunternehmer, der
aufgrund seiner kreativen und handwerklichen Fähigkeiten einen Palazzo
entwerfen konnte, für die exklusive Einrichtung verantwortlich war und
dann noch ein Deckenfresko malen musste. Von den aufwendigen, einzeln
angefertigten Intarsien ganz zu schweigen.
Erst mit der Aufklärung, der Säkularisierung und der Entwicklung
einer bürgerlichen Gesellschaft nähert sich das Bild des Künstlers immer
mehr dem heutigen an. Design als wichtiger Bestandteil der
Kreativindustrie entwickelt sich mit der Industrialisierung und die
Möglichkeiten und Vielfältigkeit angewandten Designs sind
vorherrschender Diskussionsstoff während der ersten Weltausstellung 1851
in London. Seit diesen Jahren verlaufen die Grenzen dieser Welten
parallel, mit wenigen Überschneidungen. Zu sehr waren sie mit sich
selbst beschäftigt, mit der Emanzipation gegenüber als auch gegenüber
des Marktes. Das hat sich in den letzten zehn Jahren geändert, wie Tulga
Beyerle in ihrer Beobachtung feststellen konnte.
Die Grenzen sind durchlässiger geworden und in manchen Fällen sind
sie gänzlich verschwunden. Einige Designer sind ausgebrochen aus dem
System der beauftragten Kreativen und versuchen sich an Entwürfen und
Realisierungen, die eine dezidiert künstlerische Sprache haben. Das
renommierteste Beispiel ist der israelische Architekt, Designer und
Künstler Ron Arad. Von der Architektur kommend (sein letztes Bauwerk ist
das Designmuseum in Holon, Israel), wendet er sich immer mehr dem
Design zu und ist damit enorm erfolgreich. Es ist aber nicht die letzte
Sprosse seiner kreativen Entwicklung und seit einigen Jahren sind
Arbeiten, definierte Kunstwerke, von ihm in vielen bedeutenden Galerien
zu bewundern. Darunter befinden sich Einzelstücke wie Stühle, die er
durch bewusstes Auftragen von Ölfarbe zu Unikaten machte. Und er leistet
dadurch der Diskussion, wodurch etwas zu Kunst wird, wieder Vorschub.
Denn der Käufer kann diesen Stuhl verwenden, ihm seinen ursprünglichen
Zweck zuführen, oder er kann ihn auf ein Podest stellen, mit einem
"Bitte nicht berühren"-Schild versehen und die Sitzgelegenheit wird zum
Kunstwerk.
Künstler als Formgeber
Aber nicht nur Designer verorten sich plötzlich in der bildenden
Kunst, sondern auch Künstler übernehmen die Rolle eines
(Möbel-)Gestalters und Formgebers. Wobei man sich, wenn man die – eher
ungemütlichen – Stühle und Tische des Künstlers Franz West betrachtet,
die Frage stellt, ob es sich hier um laienhaftes Design oder ein
spannendes Nebenprodukt seiner künstlerischen Arbeit handelt. Diese
Frage sollte von Galeristen beantwortet werden, die diese Stühle
tatsächlich verwenden und ganze Kunstmessen lang auf ihnen zu sitzen
haben.
Faktum ist, dass Kunst und Design immer näher zueinander rücken.
Nicht nur begrifflich, der Ausdruck "Artdesign" ist schon fixer
Bestandteil im Wortschatz von Kunsthändlern, Kuratoren und Sammlern,
sondern auch räumlich. Das beweist sich bei verschiedenen Kunstmessen:
Die Art Basel hat an beiden Standorten – in Basel und Miami – eine
Designmesse als Nachbarn, ebenso die Kunstmesse in Rotterdam. Was
aufgrund finanzieller Gegebenheiten verständlich ist, denn die Klientel
ist bei beiden Events nahezu deckungsgleich. Eine Nachbarschaft, die
eine preisliche Annäherung exklusiver Designprodukte an das hohe
Preisniveau von Kunstwerken mit sich brachte, wie Tulga Beyerle
beobachten konnte. Unterstützt wird diese Tendenz durch führende
Galerien wie Gagosian, die Designern ihre Ausstellungsflächen auch als
Präsentationsplattformen zur Verfügung stellen.
Anhand dieser Beispiele wird die gegenseitige Beeinflussung von Kunst
und Design sichtbar, aber es bleibt, gemessen an deren Vielfältigkeit,
doch ein sehr kleiner, überschaubarer Ausschnitt. Design hat viel eher
damit zu kämpfen, dass der Begriff inflationär verwendet wird.
Heutzutage kann fast schon alles "designt" werden – vom Menschen über
den Garten bis zur Ausstellung. Und diese unpräzise Vermischung der
Begriffe bringt es mit sich, dass Kunst und Design oft in einen Atemzug
genannt werden und das Grundkonzept übersehen wird. Oder wie es der
Designer Florian Holzer radikal auf den Punkt bringt: "Kunst ist
Emotion, Design ist Funktion."
Zur Person
Tulga Beyerle studierte an der Hochschule für
Angewandte Kunst Wien. Die Designexpertin ist Autorin, Kuratorin und
Leiterin der "Vienna Design Week". Von ihr gerade erschienen: "Design in
Wien 2000-2010".
Website Neigungsgruppe Design
Website
Vienna Design Week
Florian Holzer studierte Design an der Angewandten.
Nebenbei Malerei bei Arnulf Rainer und Georg Baselitz. Lebt und arbeitet
als Designer in Wien.
Ron Arad ist einer der renommiertesten Designer
weltweit. Er kommt ursprünglich aus der Architektur, wollte aber nicht
als "kleiner" Architekt in einem großen Büro enden. Er konzentriert sich
seiner beruflichen Ausrichtung in der Folge auf Design. Unterrichtet
von 1993 bis 1995 in Wien. Einen weltweiten Erfolg landete er unter
anderem mit seinen "Big Easy"-Lehnstuhl und dem "Bookworm"-Regal.
Website
Ron Arad
Siehe auch:
extra-Interview
mit Alberto Alessi, Chef der norditalienischen Designfabrik, über
Verkaufsstrategien, Design-Embryos, die Postmoderne und Bestattungsurnen
made in Austria
Website Alessi Design
Printausgabe vom Freitag, 04.
Februar 2011
Online seit: Donnerstag, 03. Februar 2011 17:44:00