07.05.2002 12:30:00 MEZ
Die Mutter aller Künstlerpaare
Im Kunsthaus Bregenz agieren Gilbert & George wie einst der große Giotto

Von Michael Heinzel


Bregenz - Der Zarewitsch der Münchner Maximilianstraße, Rudolph Mooshammer, kultiviert auf seinem Kopf einen Haarhelm mit Schmalzlocke, das oberste Zwielicht des Boxsportes, Don King, einen Staubwedel. Der afghanische Premier Karzai tritt im grünen Cape auf, Elton John trägt alles, was schrill ist.

Es ist ein bewährtes Mittel, den medialen Wiedererkennungswert durch langfristig gepflegte Extravaganzen zu steigern. Das britische Künstlerduo Gilbert & George geht den umgekehrten Weg, pflegt ein kreuzbraves Aussehen. Seit 30 Jahren treten sie öffentlich ausschließlich in meist identischen englischen Schneider-Anzügen auf, das Jackett stets geschlossen.

Brave und biedere Zeitgenossen, wird man auf den ersten Blick vermuten: so richtig wie daneben. Gesellschaftskritik und Spießertum, Gilbert Prörsch (geboren 1943) und George Passmore (geboren 1942), das berühmteste Künstlerpaar seit Laurel & Hardy, präsentieren sich in Bregenz wie sympathische ältere Eheleute, die einander ausreden lassen und sich gegenseitig respektieren.

Respektvoll werden auch die schüchternen Fragen der Journalisten beantwortet. Warum zeigen G & G keine Frauen? "Frauen werden als Werbeobjekt missbraucht. Davon wollen wir uns distanzieren." Warum findet die größte österreichische Werkschau ausgerechnet in Bregenz statt? "Unsere Kunst soll für alle verständlich sein, und hier finden wir das Publikum, das wir erreichen wollen." Gilbert und George sind auf eine altmodische Art politisch engagiert, sie beschäftigen sich mit Rassismus, mit Religion, mit Ausbeutung, mit Sex; sie sind Schöpfer einer anderen, toleranteren Welt, einer Welt, die zulassen kann. Sind auch die Ziele des Künstlerpaars prall voll bürgerlicher Tugend, die Sujets ihrer großformatigen Fotocollagen sind es nicht.

Blut und Hoden

Da springen uns akkurat und grellbunt bemalte Schwänze und Ärsche entgegen, und Vergrößerungen mikroskopischer Aufnahmen der diversen Körperaussonderungen: Urin, Scheiße, Blut und Sperma vor Stadtlandschaften, schwulen Kontaktanzeigen, feschen Burschen. Auf fast jedem Bild auch ein Gilbert und ein George, entweder nackt, im Anzug oder gar im weißen Feinripp. Das alles hübsch ansprechend durch geometrische Strukturen formatiert.

Die Gentlemen studierten Bildhauerei, als "Living Sculptures" und als "Singing Sculptures" wurden sie berühmt. Dieses Skulpturale in der Selbstbetrachtung transformierten die Künstler seit den 70ern nach und nach in das Zweidimensionale. Jedes Werk ein Selbstporträt.

Für das Kunsthaus Bregenz wählten Gilbert & George 26 Arbeiten aus den Jahren 1989 bis 2001 aus. Die Wände der drei KUB-Etagen sind jeweils bis unter die Decke mit Fototableaus behängt. Kunsthausdirektor Eckhard Schneider zieht den Vergleich zu Giotto: "Gilbert & George sind die einzigen Gegenwartskünstler, die - ähnlich wie ihre Renaissance-Kollegen - in der Lage sind, umfassende, raumgreifende und gültige Bildzyklen ihrer Zeit zu schaffen."

Das britische Künstlerpaar als renaissancetypischer Universalist, der Malerei als eine Variation der Bildhauerei begreift? In diesem Sinne: Im Kunsthaus Bregenz hängen noch bis zum 23. Juni die flachsten Skulpturen seit dem Cinquecento.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 07.05. 2002)


Quelle: © derStandard.at