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Kunstberichte
Letzte Woche ging die größte Kunstshow auf dem amerikanischen Kontinent zu Ende: die Art Basel Miami Beach

Das Gesamtkunstwerk Miami

Europa 
wird staunen: "And Europe will be stunned" von Yael Bertana. 
Foto: Corbis

Europa wird staunen: "And Europe will be stunned" von Yael Bertana. Foto: Corbis

Von Christof Habres

Aufzählung Erneut profiliert sich die Art Basel Miami Beach als Gradmesser für den Kunstmarkt.
Aufzählung Satellitenmessen ringen verstärkt um eigenständiges Profil.
Aufzählung Miami erlebt einen wahren Kunstboom.

Miami Beach. Ein paar Stunden, nachdem die neunte Ausgabe der Art Basel Miami Beach (ABMB) ihre Pforten geschlossen hatte, kam es an dieser Stätte des permanenten Sommers zu einem außergewöhnlichen Temperatursturz um 20 Grad Celsius. Fast eisige Winde verunmöglichten es vielen Galeristen am folgenden Tag, die Stunden vor ihrem Rückflug am oder im Meer zu genießen. Ein Kälteeinbruch mit Symbolcharakter? Ein kalter Wind, der Galeristen dieser Tage nicht nur am Strand von Miami, sondern auch wirtschaftlich um die Ohren bläst?

Vor mehr als zehn Jahren hatten der in Miami ansässige Immobilienmogul und Sammler, Craig Robins, und der damalige Direktor der Art Basel, Samuel Keller, eine hervorragende Idee: Die renommierte Schweizer Messe organisiert einen Ableger in Miami Beach. Robins kümmert sich um die Infrastruktur und die öffentliche Unterstützung.

Tatsächlich ist die Lage dieser Stadt fast ideal. Sie ist aus den gesamten USA und von den enorm schnell wachsenden (Kunst-)Märkten Mittel- und Südamerikas leicht erreichbar. Verbunden mit einem prima Klima. Stand die erste Ausgabe der ABMB unter keinem guten Stern (sie musste wegen 9/11 abgesagt werden), entwickelte sich die Messe in den Folgejahren zu einem globalen Fixpunkt vorweihnachtlicher Kunstkauflust.

Doch auch eine Institution des internationalen Kunstmarkts spürt die Wirtschaftskrise. Die Ausgabe 2010 präsentierte sich sehr solide, ohne viel Risiko – etablierte moderne und zeitgenössische Kunst auf sehr hohem Niveau.

Die Galeristen setzen auf Namen. Dabei musste mehr Überzeugungsarbeit geleistet werden als zuvor. Waren noch vor zwei, drei Jahren die ersten Stunden der Preview der ABMB entscheidend, um innerhalb kürzester Zeit Geschäfte zu machen, dauert es nun bis zum Ende der Messe. Sammler kommen immer wieder, sehen sich Arbeiten öfter an und diskutieren eingehend mit dem Galeristen.

Galeristen gefordert

Galeristen und Händler sind zudem nun verstärkt bei Empfängen, Eröffnungen und Dinners, um Sammler kennenzulernen. "Es ist ein Käufermarkt und das wissen die ernsthaften Sammler genau. Daher ist der Galerist gefordert" , erklärt Rebeca Blanchard von der spanischen Galerie Nogueras/Blanchard bei einem Lunch, zu dem die Kunstmesse Arco aus Madrid Sammler in Miami geladen hat. Selbst internationale Messen müssen um ihre Klientel buhlen.

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Wenn Miami ruft, kommt die Kunstherde: Schafherde des Künstlerduos Les Lalanne. Foto: Corbis

Für Blanchard bleibt nach dem Lunch nicht die Zeit für eine Siesta. Sie muss zurück zur ABMB, wo sie auf ihrem Stand eine provokante Textinstallation der französischen Künstlerin Anne-Lise Coste zeigt. Außerdem fällt der Auftritt der Galerie Gmurzynska (Zürich) auf, die ihren Stand von der Star-Architektin Zaha Hadid designen hatte lassen. An den schwarzen Außenwänden präsentierte sie einen wunderbaren Mark Rothko und einen Yves Klein aus 1961.

Bei einer anderen Schweizer Galerie, Urs Meile, sticht eine Installation des chinesischen Künstlers Ai Wei Wei ins Auge. Der Regimekritiker hat 150 Tonnen von kleinen Porzellansonnenblumenkernen brennen und sie einzeln bemalen lassen. Die erste Präsentation dieser unglaublichen Arbeit war in der Londoner Tate Gallery. Bei Urs Meile wurden zwei Tonnen dieser Kerne zu einer kegelförmigen Installation aufgebaut. Mindestabnahme bei Interesse: eine Tonne für wohlfeile 670.000 US-Dollar.

Bei Kukje aus Seoul findet man das fantastische Video von Bill Viola "The Return" – eine Arbeit, die es wert ist, oft angesehen und analysiert zu werden (200.000 US-Dollar).

Von den österreichischen Galerien (Ropac, Engholm, Janda, Charim, Insam, Krinzinger und Mezzanin) stechen Charim mit den ausgezeichneten, fotografischen Arbeiten von Dorothee Golz und Insam mit den Werken von Gerold Tagwerker und Roland Kollnitz hervor. Bemerkenswert ist der Auftritt der Galerie Zak Branicka aus Krakau: Die hintergründige Malerei des jungen Künstlers Pawel Ksiazek und die konzeptionell-grafischen Arbeiten von Robert Kusmirowski sind ausgezeichnete Visitenkarten dieser jungen Galerie.

Die Konzentration der ABMB auf Mittel- und Südamerika bewährt sich bei der Qualitätssteigerung der ausgewählten Galerien aus diesen Regionen: Vermelho, Roesler (beide aus Sao Paulo), Proyectos Monclova (Mexico City) oder Benzacar (Buenos Aires) sind die besten Beispiele dafür. Auch wenn es selbst bei der Art Basel Miami Beach nicht mehr so einfach ist, die Geschäfte zu finalisieren, bürgt doch die generell hohe Qualität der Messe für regen Sammlerzuspruch.

Was man von den Satellitenmessen heuer nicht behaupten konnte. Diese Messen, die für sich reklamieren, jung, avantgardistisch und/oder provokant zu sein, befinden sich in einer Midlife-Crisis. Eine Krise, die so weit geht, dass die an sich sehr gute Spezialmesse Photo Miami einen Monat vor Eröffnung mangels ausreichender Beteiligung abgesagt werden musste.

Um ihre Plätze füllen zu können, verzichten die anderen Messen vielfach auf eine sorgfältige Vorauswahl. Das vermittelt selbst bei angesehenen Messen wie der Nada oder der Pulse ein unschlüssiges Bild: Zu groß sind die Qualitätsunterschiede der Aussteller, zu offensichtlich das Schielen nach Gefälligem. Einzig der Auftritt der Zürcher Galerie Rotwand bleibt nachdrücklich im Gedächtnis – die raumfüllende Einzelpräsentation der chinesischen Künstlerin Chiharu Shiota vereint verspielte Leichtigkeit mit asiatischer Poesie. Insgesamt jedoch stellt sich die Frage nach dem Sinn solcher Shows.

Nichtsdestoweniger hat die ABMB in Miami einen enormen Kunstboom ausgelöst. Im ehemaligen Lagerhausbezirk Wynwood, den man früher nächtens großräumig umfahren hatte, hat eine Galerie nach der anderen eröffnet. Die Privatsammlungen der Familien Margulies, Rubell, Cisneros-Fontanals oder de la Cruz haben eigene Kunsthallen errichtet. Das MOCA Miami (Museum of Contemporary Art) wurde eröffnet, das Bass Museum in Miami Beach wurde renoviert und eröffnete während der ABMB die überaus sehenswerte Ausstellung "Ten Thousand Waves" des britischen Künstlers Isaac Julien.

Kunst-Boom in Miami

Es sind diese Sammlungen, Ausstellungen und Kunstprojekte, die bei aller Kritik der Anfangsjahre am eher oberflächlichen, parvenuehaften Umgang mit zeitgenössischer Kunst den Besuch in Miami für Sammler, Kuratoren und Kunst-Aficionados zu einem kulturellen Ereignis machen. Diese museale Auseinandersetzung unterstützt die allgemeine Tendenz, sich wieder einen ernsthafteren Zugang zur zeitgenössischen Kunst zu verschaffen, weniger auf Verdacht zu kaufen und sich mehr zu informieren.

All dies macht deutlich, was eine Kunstmesse für eine Stadt bewirken kann. Da mögen heuer noch manche Galeristen in Miami Beach im kalten (Geschäfts-)Wind frieren, aber die Zukunft für das Gesamtkunstwerk Miami sieht vielversprechend sonnig aus.



Printausgabe vom Dienstag, 14. Dezember 2010
Online seit: Montag, 13. Dezember 2010 19:39:00

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