Wiener Zeitung · Archiv


Kunstberichte

Dekonstruktion künstlerischer Ikonen und Idole

Bawag Foundation: Die Arbeiten des Kanadiers Rodney Graham geben dem Betrachter absichtsvoll Rätsel auf
Illustration
- Rodney Graham: Ohne Titel (2006, Öl auf Leinwand).  Foto: R. Graham/Hauser & Wirth Zürich London

Rodney Graham: Ohne Titel (2006, Öl auf Leinwand). Foto: R. Graham/Hauser & Wirth Zürich London

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Wenn ein Mann neben sich einen Berg Erdäpfel auf einem Tisch abbaut, indem er sie gegen einen großen chinesischen Gong wirft, wirkt das eigenartig oder zumindest eigenwillig. Doch die leise anklopfende Erinnerung an die Materialien der Arte povera Künstler plus dem Gehabe der Hexenmeister der Fluxus-Kunst, etwa Nam June Paik, trügt nicht. Der Kanadier Rodney Graham, Jahrgang 1949, hat sich seit den Siebzigerjahren mit allen Künsten von der Musik über die Literatur bis hin zu Film, Installation und Malerei befasst.

In der aktuellen Ausstellung der Bawag-Foundation stellte er einen fiktiven Fluxushelden, vielleicht aber auch sich selbst, ins Zentrum eines Schwarzweißfilms.

Dramatisches Licht fällt auf den Protagonisten, der mit dem Rücken zum Betrachter sitzt und mit den mehr oder weniger erfolgreichen und lautstarken Treffern den Gong malträtiert. Das Publikum versinkt links in der Düsternis eines Saals mit einem Bühnenvorhang, vor dem der Gong situiert ist. Alles geht in einem geradezu ärgerlichen Schneckentempo vor sich.

Graham verweist dabei auf eine Anekdote über den Schlagzeuger der legendären englischen Rockband Pink Floyd, der während einer langen Jamsession in den Sechzigerjahren einen Gong mit Gemüse beworfen haben soll. Dazu kleidet sich Rodney Graham mit kariertem Hemd, Jeans und Red-Wing-Stiefel wie sein berühmter Namensvetter Dan Graham, von dem derzeit im Unteren Belvedere ein Glaspavillon in der "Gartenlust"-Schau zu sehen ist.

Wodka und Kunst

Aus den Wurf-Erdäpfeln hat Rodney Graham zusätzlich eine limitierte Wodka-Edition gebrannt, die Flaschen sind nach Vorbild der konkreten Poesie minimalistisch beschriftet und als Dias in Leuchtkästen präsentiert, daneben ist das fiktive oder echte Destillationsgerät aus Metall aufgebaut. Dabei ist eine bewusste Unsicherheit die Methode, um den Betrachter neugierig zu machen.

Ist an dieser Künstlervita alles konstruiert oder gibt es auch ein Quantum Wahrheit?

In einem anderen Werk, wieder in Dialeuchtkästen, die diesmal wie ein Renaissance-Triptychon gehängt erscheinen, tritt Graham als Musiker einer Gruppe für alte Musik auf. Diese Präsentation erinnert zweifellos an den bekannten Kollegen aus Vancouver, Jeff Wall – ein Querverweis?

Jedenfalls soll das Stück eines abenteuerlich modern anmutenden Komponisten aus dem 14. Jahrhundert, Matteo von Perugia, und eine Aufnahme des auf Alte Musik spezialisierten David Munrow Consort aus den Siebzigerjahren, Graham dabei inspiriert haben. Dazu wird auch die Zentralperspektive in Diskussion gestellt.

Parallelen, Stellvertreterpositionen und ironisches Hinterfragen bestimmen diese letzten Endes viele Rätsel hinterlassende künstlerische Haltung. Zumal in der Rezeption zuerst der Überbau mitsamt seiner spöttischen Komponente und allen Seitenhieben auf sakrosanktes Künstlertum und misslungene Versuche in Richtung Gesamtkunstwerk begriffen werden muss. Denn im ersten Augenblick ist man auch bei den Paraphrasen aller wichtigen Stile der klassischen Moderne in den kleinformatigen Gemälden von Rodney Graham nur im Zweifel.

Für den Betrachter resultiert daraus zwangsläufig ein Erfahrungsparcours, allerdings kein didaktischer mit einer Aussicht auf Läuterung. Die Wege der neuen Kunst sind schließlich labyrinthisch.

Rodney Graham

Lobbing Potatoes at a Gong

Bawag-Foundation

Zu sehen bis 16. Juni

Ironische Distanz.

Dienstag, 10. April 2007


Wiener Zeitung · 1040 Wien, Wiedner Gürtel 10 · Tel. 01/206 99 0 · Mail: online@wienerzeitung.at