Salzburger Nachrichten am 5. Mai 2006 - Bereich: Kultur
Das Denken im Liegen

Die Ausstellung "Die Couch" im Wiener Freud-Museum kreist auch ohne das Originalmöbel von Sigmund Freud um das heilsame "Denken im Liegen". NIKO WAHL

NIKO WAHL WIEN (SN). Die Behandlungscouch von Sigmund Freud zählt wohl zu den berühmtesten Möbelstücken des 20. Jahrhunderts. Sie steht im Zentrum einer Ausstellung des Wiener Freud-Museums anlässlich des 150. Geburtstages des Begründers der Psychoanalyse, die ab heute, Freitag, geöffnet ist.

Die Originalcouch ist dort nicht zu sehen. Denn sie befindet sich in London, in jenem Haus, das Freud bewohnte, nachdem er vor den Nationalsozialisten aus Wien hatte fliehen müssen. Die Ausstellung im Freud-Museum heißt dessen ungeachtet "Die Couch" und widmet sich vor allem ihrem Untertitel: "Vom Denken im Liegen."

Denken und Liegen gehen in unserer Kultur nicht unmittelbar miteinander einher. Mit dem Denken wird üblicherweise das Gehen als klassische körperliche Tätigkeit assoziiert. Zu Freuds Ansatz passte die Körperhaltung des Liegens jedoch allemal besser, da er nicht logisch-rationales Denken von seinen Patienten forderte, sondern versuchte, sie auf der Reise in ihr eigenes Unterbewusstsein zu begleiten.

"Die Couch gibt den Benutzern keine eindeutige Körperposition vor", sagt Lydia Marinelli, Kuratorin der Ausstellung. Im Unterschied zum Sessel lässt sich auf ihr lümmeln, liegen oder auch sitzen. Darüber hinaus hatte die Couch bereits zu Beginn ihrer psychoanalytischen Karriere eine allgemein bekannte Nähe zu Sexualität, Schlaf und dem Sich-gehen-Lassen.

Diesen Körperhaltungen und ihrem Einfluss auf unser Leben und Agieren geht die Ausstellung nach. In den Räumen der ehemaligen Freud-Wohnung in der Berggasse wird die Couch als Thema der Kunst dokumentiert, vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart.

Holzschnitte von Félix Vallotton aus den 1890er Jahren zeigen die Couch als Ort der Krise eines tristen Ehepaares, auch Max Ernst betrachtet die Couch in seinen Collageromanen mit gemischten Gefühlen.

Ganz andere Konnotationen dokumentiert eine Serie von Fotografien, die die Couch in Andy Warhols New Yorker Factory abbildet: Das Möbel ist hier eindeutig das soziale Zentrum. Hier findet alles statt, was im Ehebett unmöglich ist.

Aus analytischer Perspektive interessant ist wohl Rachel Whitereads künstlerischer Beitrag: Sie produzierte einen Gummiabguss, der den Raum unterhalb des Bettes ihrer Eltern sichtbar macht. Diesen lehnte sie so an die Wand, dass er aussieht wie "eine Person, die in einer Ecke vergessen worden war", erläutert Rachel Whiteread.

Im oberen Stockwerk wird der medizinisch-psychoanalytische Zugang zum Liegen thematisiert, etwa anhand der Liegekuren, die um die Jahrhundertwende populär wurden, oder der "Ruhe als Heilmittel". Bereits damals war die Couch als Behandlungsliege ein gängiges Ausstattungsstück jeder Arztpraxis. Auch für Sigmund Freud war sie bloß ein Arbeitsgerät, als er ab 1886 die Hypnose zu Therapiezwecken einsetzte. Seine Couch, mit Teppichen und Samtpolstern belegt, wurde so als einziges materielles Hilfsmittel zum Symbol für die Psychoanalyse schlechthin.

Eine Fotoserie US-amerikanischer Behandlungsräume von Shellburne Thurber zeigt die Verwendung der Couch bis in die Gegenwart.

Der Begriff "Couch" ist übrigens erst seit den 60er Jahren bei uns gebräuchlich. Sigmund Freud selbst ließ seine Patienten auf einem Diwan, einem Sofa oder einem Ruhebett Platz nehmen. Das Wort "to couch" stammt aus dem Amerikanischen, also aus jenem Land, das nach dem Nationalsozialismus zur eigentlichen Heimat der Psychoanalyse wurde. Übersetzt bedeutet es "formulieren, in Worte fassen". Informationen: Sigmund-Freud-Museum, Berggasse 19, 1090 Wien, Dauer der Ausstellung: 5. Mai bis 5. November 2006, www.freud-museum.at.