Salzburger Nachrichten am 17. Mai 2001 - Bereich: kultur
Die Freiheit des Zwiebelschneidens

Das "Atelier van Lieshout" zeigt Autonomie in der Bawag Foundation

WIEN (SN).

Joep van Lieshout, ein Künstler mit vielfältigen Talenten, die er ebenso unbekümmert wie strategisch einsetzt, gründete 1995 das Atelier van Lieshout AVL, eine künstlerische Arbeits- und Lebensgemeinschaft, die inzwischen schon 35 Mitarbeiter hat. Das Studio am Rotterdamer Hafen hat er inzwischen zum freien Staat erklärt. "AVL-VILLE" ist ein autonomes Wirtschaftsunternehmen, das die unterschiedlichsten Überlebensstrategien konzipiert und die dafür nötigen Gegenstände konstruiert: von marginalen Tischen über alternative Großküchen zur mobilen Denkzelle und dem Instrument für Jagd und Selbstverteidigung, dem Gewehr.

Der Anspruch, Kunst und Leben zu verflechten, gelingt auf eine rü-de Art. Mit den elementaren Bedürfnissen in elementarem Design wird vor allem eine Ideologiediskussion losgetreten, und die findet natürlich in Kunstkreisen statt. Das Modell der Piraterie zielt auf Öffentlichkeit und wird vermarktet.

Die Ware ist aber nicht wie bei Taxi Orange der Mensch, mit seinen mehr oder weniger originellen Darstellungsformen. Die Ware, das sind die Objekte, die fallweise in Kunstsammlungen landen oder zu Aufträgen inspirieren. In erster Linie ist es die faszinierende Idee des autonomen Lebens in einer selbst konzipierten Umwelt. Waren es zuerst Wohncontainer, später allerlei Konzepte für Selbstversorgung, Energie, Nahrung, ist man nun schon beim eigenen Geld, einer Minidemokratie und wenn man so will, einer Minireligion, die individuelle Freiheit mit Ehrlichkeit und Gleichheit zu kombinieren sucht.

Vorwärts, zurück zu den Wurzeln könnte man sagen, noch einmal das Rad erfinden und die Moral. Der Geschäftsgeist ist allerdings heutig, denn mit einer nimmermüden Gulaschkanone und fleißigem Zwiebelschneiden vor der Presse rührt man einfach das Kunstvolk zu Tränen der Begeisterung über die Autonomie und Ursprünglichkeit seines Tuns. Während die Kommune in Rotterdam, der Kulturstadt 2001, die wilde Freiheit vorlebt, jettet der Chef nach Wien und serviert "autonomes" Gulasch aus seiner "Wiener Kü-che", extra konzipiert für die Ausstellung in der Bawag.

JANA WISNIEWSKI