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VORTRAG: Werbe- und Fotostar Oliviero
Toscani in Linz über Marketing, Kreativität & Benetton
"Konsument nicht als Idiot behandeln"
Warum interessieren sich Medien mehr für die
Scheidung von Charles und Diana als für die Tatsache, dass in
Sarajevo Männer, Frauen, Kinder geschlachtet werden? Diese wunderbar
einfache Frage stellte sich Oliviero Toscani 1992 und startete für
den Modekonzern Benetton eine Kampagne mit Fotografien über den
Krieg. Eine davon zeigt Militärhose und blutgetränktes T-Shirt eines
ermordeten Burschen, ein anderes in kalter Symmetrie angeordnete
Soldatenkreuze - Krieg und Tod als hässliche Gleichmacher.
Tod auch in Form von Aids oder der Todesstrafe.
Symptomatisch die Reaktion einer Passantin auf Toscanis Plakate:
"Warum quält man uns so?" Der spielt freilich sein eigenes
Spielchen, gibt sich erstaunt: "Die Leute haben damals wieder nur
über meine Bilder statt über den Krieg gesprochen. Leben und Tod
kommen in der herkömmlichen Werbung nicht vor. Sie geht von
Konsumenten aus, die nie sterben."
Wo verläuft die
Grenze?
"Creativity versus Marketing" hieß der Vortrag,
den Toscani am Dienstag auf Einladung der Ars Electronica im prall
gefüllten Mittleren Saal des Linzer Brucknerhauses hielt. Und am
Vortragsthema scheiden sich die Geister über ihn: Wo genau verläuft
die Grenze zwischen Kreativität und Marketing? Hat Toscani mit dem
Elend von Menschen Geld verdient oder hat er kreativ dazu
beigetragen, das Verständnis für kulturelle Unterschiede, für
beiseite geschobene Themen zu verfeinern?
Für den witzigen
und mitreißend vortragenden Toscani keine Frage: "Einige Leute
wissen es zu schätzen, wenn sie von der Werbung nicht als Idioten
behandelt werden." Völlig öden ihn hingegen herkömmliche Designer
und Marketing-Leute an: "Wenn jemand Erfolg haben will, höre er
genau zu, was sie sagen, und tue das Gegenteil."
Zu Erfolg
und Geld hat Toscani tatsächlich ein sehr unkompliziertes
Verhältnis: "Wie hat Michelangelo Kunst geschaffen? Der Papst hat zu
ihm gesagt: Mal mir etwas, das meine Macht und die der Kirche
zeigt." Umgekehrt lässt sich auch die Kirche benutzen, um
Aufmerksamkeit zu erregen. 1973 entwarf Toscani eine Kampagne für
die Blue Jeans eines Freundes. Er nannte sie "Jesus Jeans", die
Plakate zeigten einen knackigen Frauen-Po mit der Aufschrift "Wer
mich liebt, folge mir". Vatikan und Feministinnen waren empört,
Toscani: "Das war eine Riesenwerbung."
1982 bis 2000
arbeitet Toscani für Benetton. Ab 1998 plante er seinen Abgang, zwei
Jahre dauerte es, bis er Zutritt zu US-Gefängnissen bekam. Die Serie
über zum Tode Verurteilte folgte, ein letzter Eklat. Toscani weist
das Linzer Publikum auf die großen Leinwände hin, auf denen ein
Verurteilter zu sehen ist. Zynisches Statement: "Es hat sich
herausgestellt, dass dieser Mann unschuldig ist. Sieht gar nicht so
aus, oder?"
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