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Essl Museum: Wie Weiler seine Landschaften fand

18.03.2010 | 18:43 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Eine prächtig bedächtige Ausstellung zu Max Weilers 100.Geburtstag kombiniert chinesische Gelehrtensteine mit Fundstücken aus des Malers Unbewusstem.

Konfuzius sagte: „Der Weise erfreut sich am Wasser, der Tugendhafte an den Bergen. (...) Der Weise ist vergnügt, der Tugendhafte langlebig.“ Max Weiler, der Tiroler Maler von rötlichem Gewölk über grünem Felsberg, von Herbstbergen, Felstürmen und Urgebirgen, von grauen und rostroten Bergen und von ihrem Ende, wurde stattliche 90 Jahre alt. Seinen letzten runden Geburtstag feierte er noch in der großen Retrospektive im Wiener Künstlerhaus. Seinen 100. hätte er im Essl Museum feiern können. Dieses widmet ihm ab heute eine prächtig bedächtige Einzelausstellung – in der sie Gebirge des Geistes neben Landschaften aus Form und Farbe stellt.

Die frappant harmonische Kombination chinesischer Gelehrtensteine mit Weilers Zyklus „Wie eine Landschaft“ aus den 60er-Jahren ist einer Eingebung von Gastkurator Edelbert Köb, Mumok-Direktor und Weiler-Intimus, zu verdanken. Die wertvollen Stücke stammen aus Privatsammlungen, sie ruhen auf geschnitzten Holzsockeln und haben völlig unterschiedliche Charaktere. Zum Teil wirken sie massiv und in sich ruhend wie Bonsai-Gebirge oder wie bizarre gestockte Eruptionen in Miniaturformat. Schiebt sich in die Blickachse eine Weiler'sche Tuschzeichnung, könnte man innerlich juchzen vor überraschender Komplementarität. Und das, obwohl Weiler sich zwar immer auf die Sun-Malerei bezogen hat, die nahezu naturbelassenen Steine aber nicht einmal kannte, wie Köb vermutet.

Als Fundstücke, als Objets trouvés, bilden sie die subtile Überleitung zum zweiten Schwerpunkt der Ausstellung, die absichtlich keine x-beliebige Retrospektive ist, sondern eine ästhetische Thesenschau inklusive neuester Erkenntnisse: Margret Boehm, die in mühsamer Kleinarbeit den schriftlichen Nachlass Weilers bearbeitet, hat im sogenannten Ateliermüll nämlich Erstaunliches gefunden. Im bunten Farbgekleckse, auf altem Schmierpapier, wo Weiler die Farben testete, hatte er mit Bleistift unterschiedlich große Rechtecke markiert, die „spannenden Teile“ – um diese dann zu eigenständigen Gemälden zu machen. Wie in der Fotografie zoomte er sein Hauptmotiv so aus der Umgebung, fand im Zufall den Einfall. Zum Kunstwerk erhobene Fundstücke, wie es die Gelehrtensteine sind – nur ist der Fundort diesmal die menschliche Natur, das Unbewusste, ähnlich den Kringeln, die wir und Ludwig Wittgenstein so gerne beim Telefonieren zeichnen und zeichneten.

Wenn das nicht modern ist! Diese Ausstellung zieht auch los, Weiler seinen bisher verwehrten Platz in der internationalen Moderne zu sichern, den er durch konsequentes, den einsamen Geniebegriff kultivierendes Verschweigen seiner Vorbilder wahrscheinlich selbstverschuldet geopfert hat. In all seinen Tage- und Nachtbüchern kommt kein einziges Mal, bemerkte Köb, der Name eines zeitgenössischen Künstlers vor. Obwohl er etwa Nicolas de Staël in Paris besucht hatte und seine Malerei bewunderte. Von den Amerikanern dürfte Weiler sich zumindest die großen Formate abgeschaut haben.

Durch das Mittel des Zufalls, durch seine prozessuale Malerei, so Köb, fuhr Weiler jedenfalls im Zug der Zeit ganz vorne mit. Die am Ende der Ausstellung präsentierte, ebenfalls in den 60er-Jahren entstandene erstaunliche Gruppe der Flügelbilder zeichnet Weiler noch dazu als Objektkünstler ersten Ranges aus: Die von der Fläche ins Dreidimensionale vordringenden Landschaften erinnern an aufklappbare Kinderbücher oder Theaterkulissen.

Das Einzige, was Weiler bei all seiner aktiven Beschäftigung mit der Moderne an ein Gestern fesselte, ist sein Spiritualismus. Das Malen, zwar „kühl und ohne Sentiment“, aber immer, um „einen Traum zu verwirklichen“. So sehen wir in Weilers Bildern eben nicht nur Farben und Formen und Kleckse. Sondern finden den ganzen Kosmos im Kleinen, im Zufall, im Gefundenen.


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