Salzburger Nachrichten am 9. November 2005 - Bereich: Kultur
Gott, Pornos und skrupellose Turbo-Nachbrenner Handfestes vom
Internet-Star der Comic-Szene: Jamiri spricht auch in "Pornorama" wieder
mit dem Schöpfer
Gerhard ÖhlingerEssen (SN). Das Internet ist eine tolle Sache: Dank
Web-Statistik weiß der Essener Comic-Zeichner Jamiri genau, dass nach
Deutschland die meisten Leser seiner bei "Spiegel Online" veröffentlichten
Comics aus Österreich kommen. An Österreich bewundert der 39-Jährige
Gottfried Helnwein, Kottan und den Wolfgang-Glück-Film "Der Schüler
Gerber". Fast wäre Jamiri, mit bürgerlichem Namen Jan-Michael Richter,
auch beruflich in Österreich gelandet: "Bei einem Uni-Magazin, den Namen
habe ich vergessen", berichtet er im SN-Gespräch. Die prominent platzierte Online-Präsenz macht nicht allein glücklich:
Sein neues gedrucktes Werk - "Pornorama" ist immerhin schon Opus Nummer
acht - stellt Richter auch deshalb zufrieden, weil man es "nicht
wegklicken" kann. Apropos klick: Nachdem nicht die österreichische,
sondern eine deutsche Hochschul-Postille ("Unicum") Jamiris Dienste in
Anspruch nahm und das "Spiegel Online"-Engagement noch in weiter Ferne
war, klopfte eine deutsche Computerzeitschrift bei ihm an. Es war die Zeit
des Dotcom-Booms, aber Jamiri fand damals das Internet noch nicht toll:
"Ich war immer ängstlich, was Technik angeht", bekennt er. Um des Jobs
willen kaufte er sich aber den ersten PC. Seither gehören Google-Rankings
oder Handys mit Milchschäumer-Funktion zu den Inhalten, die er zeichnet,
stehen Zeitgeist-Phänomene wie Klingeltöne und Flatrates unter seiner -
nach wie vor skeptischen - Beobachtung. Die Computerzeitschrift verschwand irgendwann vom Markt, Jan-Michael
Richter als Beobachter des technologiegeprägten Zeitgeists blieb: Akteur
in Jamiris Comics ist fast immer Jamiri selbst, fotorealistisch und
selbstironisch gezeichnet im Kampf gegen die Tücken der neuen
Elektronik-Welt, aber auch bei Bett-Dialogen mit Gattin Beate oder im
verständnisvollen Zwiegespräch mit seinem Kumpel, dem lieben Gott. Warum aber "Pornorama"? Wenn Jamiri nackte Haut zeichnet oder Gott über
eine Fettabsaugung nachdenken lässt, zielt er nach eigenem Bekennen
"skrupellos" auf die empfindlichsten Stellen konservativer Zeitgenossen.
Und so richtig Spaß mache es, wenn er als "Turbo-Nachbrenner" eins
draufsetzen könne: Als sich Leserin Rita über "gut ausgeleuchtete Titten"
in einem seiner "Unicum"-Comics beschwert, liefert Jamiri noch einmal ein
Paar blanke Brüste nach und erklärt triumphierend: "Rita, DAS ist gut
ausgeleuchtet!" So etwas mache Freude, bekennt der Zeichner. Wer nun
denkt, dass sich Rechtsanwälte auf jedes neue Jamiri-Werk freuen, weil sie
Gotteslästerung oder Jugendgefährdung einklagen wollen, liegt falsch:
Anders als etwa sein österreichischer Kollege Gerhard Haderer ("Das Leben
des Jesus") wurde Jamiri noch nie geklagt. Den Großteil seiner Comics zeichnet Jamiri nach Foto-Vorlagen. Wer
steht da Modell für Gott? "Das ist schwierig, wegen dem Rauschebart. Es
gibt verschiedene, darunter meinen Schwiegervater", sagt Jamiri. Seltener
ins Bild kommt ein anderer Verwandter. Mit seinem Cousin, Bayern-Kicker
Mehmet Scholl, verbindet Richter eher die Verletzungsanfälligkeit: "Unsere
Blessuren sind oft ähnlich." Sehr profan, aber ganz im Sinne der Uni-Zeitschrift, ist Richters
Zukunftstraum: Als bald 40-Jähriger ist er thematisch schon etwas weit weg
vom Studentenleben - und würde daher gern als Professor an die Uni
zurückkehren.Jan-Michael Richter (Jamiri): Pornorama. 47 Seiten
(uni-edition, Berlin 2005).Internet: www.jamiri.com;
www.spiegel.de/netzwelt |