Wien - Ein schmuddeliges Kanalrohr liegt quer im Raum. Kein Rohrbruch, sondern eine Arbeit der britischen Bildhauerin Phyllida Barlow. "Ein kleiner Scherz über Henry Moore", lacht die 66-jährige Künstlerin herzlich. "Schauen Sie hinein! Sehen sie das Loch in der Skulptur?"
Das Kanalrohr ist freilich nicht echt, sondern nur gefakt. Aber die Materialität der Straße, das, was man nicht sieht oder sehen will, Verstecktes oder Übersehenes, Ungeliebtes wie Müll, Schilder, Baustellen, ist es, was die Künstlerin inspiriert. Das Kanalrohr, das aussieht, als wäre es gerade aus dem Morast gezogen, ist wie viele ihrer Arbeiten aus Styropor gefertigt; umwickelt mit Gaze und grob mit Zement und Farbe beschmiert, erhält es sein archäologisches Aussehen. Broken Column - der Titel erinnert daran, wie monumental dieses phallische Objekt wirken würde, wenn es senkrecht aufgestellt wäre.
Bunte, grob zusammengezimmerte Transparente häufen sich im Eingangsbereich. Die mit dem Urbanen verbundenen Objekte ziehen die Atmosphäre der Straße im White Cube weiter. "Es könnten Banner eines Festivals oder einer Demo sein, die als angenehm oder störend empfunden werden", sagt Barlow über die von ihr gewünschte Assoziationsvielfalt.
Prozesse der Stadt
Barlow operiert nicht nur aus ästhetischen Überlegungen mit der Stadt als Material, sondern wirft auch einen politischen Blick auf sie: ein Blick, der auf das Prozesshafte, auf die Veränderung der Stadt aufmerksam macht. Sie weist darauf hin, dass die urbanen Dinge, die Materialität, auf die sie sich bezieht, Resultat und Produkt einer bestimmten politischen Haltung sind. Es war nie ein Mangel an Raum, der Barlows experimentelles Arbeiten in der Stadt motivierte, vielmehr war es Ausdruck einer Unabhängigkeit. Diese gilt es heute wiederzuentdecken.
Vier Jahrzehnte lang hat Barlow an der Londoner Slade School of Fine Arts unterrichtet (u. a. Rachel Whiteread, Douglas Gordon und Tacita Dean studierten bei ihr), aber erst jetzt wird der inzwischen emeritierten Professorin internationale Aufmerksamkeit zuteil. Zuletzt stellte sie gemeinsam mit Nairy Baghramian in der Londoner Serpentine Gallery aus und wird nun von der renommierten Galerie Hauser & Wirth vertreten.
"Früher hätte ich gesagt, man solle sie nach der Ausstellung auf den Müll schmeißen", sagt Barlow mit Blick auf die aus einmal überflüssigen Materialresten gefertigte Skulptur heap 4. Nun gibt es plötzlich eine Galerie, die sich um die Verwahrung ihrer raumgreifenden Skulpturen kümmert. "Das ist eine vollkommen neue Erfahrung. Ich bin gespannt, wie sich das auf mein Werk auswirkt", sagt Barlow, die sich nie daran stieß, wenn ihre Arbeiten verschwanden oder zerstört wurden: "Es ist reizvoll, Dinge neu zu machen, sie zu überarbeiten." (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD - Printausgabe, 9. September 2010)
Bis 27. 10.
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