MEINUNG
Sensation im Kunsthaus
Vieles wird uns -
auch in der Kunst - als Sensation verkauft. Bei genauerer Betrachtung
stellt es sich dann aber als ziemlich gewöhnlich, als ziemlich
einfallslos und als ziemlich uninteressant heraus. Nicht so die seit
dem Wochenende laufende Ausstellung im Kunsthaus Bregenz. Auch da
sprach Direktor Eckhard Schneider im Vorfeld von einer "echten
Sensation". Man kann ihm nach der Eröffnung recht geben. Die Ausstellung
"Re-Object", für die Schneider auch das Konzept entwickelt hat und als
Kurator fungiert, läßt den Betrachter einen Gang durch die neuere
Kunstgeschichte machen, sie zeigt auf, wie zeitgenössische Künstler an
die Anfänge der Moderne vor etwa hundert Jahren anknüpfen. Zudem zeigt
sich das Kunsthaus mit diesen vier Ausstellungen in einer von seiner
besten Seite, der Peter-Zumthor-Bau spielt alle in ihm steckenden
Möglichkeiten aus. Die Sensation ist
aber nicht so sehr das, was vielleicht zur Sensation gemacht werden
wird. Nicht der in Formaldehyd eingelegte Tigerhai des englischen
Künstlers Damien Hirst, über den sich schon erste Besucher, nämlich
Tierschützer, zu mokieren scheinen. Auch nicht jenes Foto von Jeff
Koons, das den Künstler in detaillierter Großaufnahme im Geschlechtsakt
mit Cicciolina zeigt. Ein ähnliches Foto von Koons hatte ja vor Jahren
während der großen Koons-Ausstellung für Aufregung gesorgt, als
Gottfried Bechtold in seinem Kunst-Terminal am Leutbühel ein ähnliches
Detail zeigte, das ihm in der Ausstellung zu fehlen schien. Diese
Stücke mögen vielleicht für Diskussionen und für erregte moralische
Gemüter, wie wir sie ja bei anderer Gelegenheit in Vorarlberg auch
schon ertragen mußten, sorgen. Für eine Sensation aber taugen sie
nicht. Die Sensation ist im Parterre des Kunsthauses zu finden. Erstmals sind bei
uns nämlich Arbeiten von Marcel Duchamp zu sehen, erstmals finden wir
einen der ersten Meister der Moderne, den großen Vorläufer von
Dadaismus und Surrealismus und anderer Kunstbewegungen des 20.
Jahrhunderts direkt vor unserer Tür. Dabei sind es nicht einmal so sehr
die "Readymades", die berühmt gewordenen Dinge des Alltags, das
"Fahrrad-Rad", die "Schneeschaufel" oder das "Urinoir", die Duchamp zur
Kunst erhoben hat, die die Aufmerksamkeit verdienen. Vielmehr ist es
die Vitrine im Zentrum des Raumes, in der sich die kleinen
Karton-Arbeiten, die handschriftlichen Notizen Duchamps befinden, die
geradezu eine Fundgrube darstellen und die sich ausgiebige Zeit zum
Verweilen verdienen. Mit seinen
Arbeiten hat Marcel Duchamp die Kunst bis heute beeinflußt wie kaum ein
anderer. Nicht umsonst sprach Gerhard Merz in einem Interview vom
"Großvater" der in Bregenz ausgestellten Künstler. Duchamp hat aber
auch bei uns Spuren hinterlassen - man denke etwa an Gottfried
Bechtolds Skulptur "Readymade" vor dem Bregenzer Festspielhaus, in der
der Künstler ein vorgefundenes Objekt, einen Baum, zur Skulptur
veränderte. Ähnlich arbeiten auch Damien Hirst, Jeff Koons oder Gerhard
Merz. Von allen Künstlern sind Arbeiten zu sehen, die in den Kontext zu
Marcel Duchamp gestellt werden können. Nicht, daß sich die Arbeiten,
daß sich die Objekte konkret vergleichen lassen, aber sie haben einen
ähnlichen Ursprung. Herbert Molderings, der vielleicht beste Kenner von
Duchamp, der auch für den Duchamp-Part in Bregenz verantwortlich
zeichnet, formuliert das so: "Nicht die Objekte zählen, sondern die
Experimente." Das gilt für
Duchamp, das gilt auch für die anderen. Und es ist lohnend, sich mit
diesen Objekten auseinanderzusetzen. Nicht, daß einem da alles gefallen
müßte - das ist nicht Aufgabe der Kunst. Aber die Veränderung des
Alltäglichen, des schon Gewohnten - das kann ihre Aufgabe sein. Im
Kunsthaus wird das derzeit spannend gezeigt. VON WALTER FINK
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