Der Mann bewegte sich wie ein Geist zwischen den groben
Granitblöcken, Stahlträgern, Alabasterklumpen und Holzbalken. In beigem
T-Shirt, Leinenhose und Segeltuchschuhen stand er da mit seinem zerzausten
Haupthaar: Eduardo Chillida, ein Engel in einer grobgeschnitzten Welt,
zwischen unbezwingbaren Materialien, gezähmt zu bizarren, kubischen
Formen.
Geschmeidig wand er vor einer Stahlplastik die knorrigen
Finger ineinander. "Die Form, ist sie einmal in Schwung, gibt ihre eigene
Bewegung vor. Die perfekte Form, das sind für mich menschliche Hände",
sagte er lächelnd. Dann nahm er einen Marmorblock aus einem Würfel: "Meine
Werke sollen atmen. Ich möchte, daß der Wind durch die Skulpturen weht."
Ein Zufall, daß der Bildhauer vor zwei Jahren dem
Reporter in die Arme lief. Chillida, an Alzheimer leidend, hatte sich
längst von der Öffentlichkeit zurückgezogen. Damals, August 2000,
unternahm er einen letzten Rundgang durch seinen locus amoenus, den
"Chillida Leku" (baskisch: Chillidas Ort), wo nun seine Asche verstreut
wurde: sein eigenes Museum in der von radikalen Nationalisten regierten
Heimatgemeinde Hernani bei San Sebastian.
Kurz darauf, bei der Eröffnung, richtete die baskische
Terrororganisation Eta Granatwerfer auf den Landschaftspark. Ziele: König
Juan Carlos, Premier José Maria Aznar und Gerhard Schröder, der die fürs
Berliner Kanzleramt gedachte Plastik "Berlin" über die deutsche
Wiedervereinigung besichtigte.
Der 1924 in San Sebastian geborene Künstler konnte nie
abseits der Politik stehen: 1943, kaum eingeschrieben im
Architektur-Seminar von Madrid, floh er nach Paris, um Bildhauer zu
werden. Das Franco-Regime duldete seine futuristischen Experimente nicht.
Erste Arbeiten mit Terrakotta und Gips sorgten im Ausland für Aufsehen,
1958 erhielt Chillida den Preis der Biennale Venedig. Erst spät folgte der
Triumph in der Heimat.
Dabei hatte Chillida schon vier Jahrzehnte vorher die
Rückreise angetreten: 1951 schuf er in Hernani seine erste Stahlarbeit
"Ilharik", 1961 sein erstes Werk aus Holz. In Chillida Leku stehen heute
neben einer alten Bauernkate sechs bis acht Meter hohe Stahlkonstruktionen
zwischen Buchen, Eichen, Linden und Zedern. Sie setzen in der feuchten
Atlantikluft Patina an.
Massive Steinblöcke
Im Inneren blieb Chillida stets vor allem Baske. Seine
massigen Steinblöcke erinnern an vorzeitliche Grabskulpturen, die
knorrigen Eichenbalken an die tiefen Wälder der Provinz Guipuzcoa, die
massigen Stahlarbeiten an die Schwerindustrie, mit der Franco kastilische
Arbeiter in der abtrünnigen Region ansiedelte. Chillida arbeitete mit
Kränen und Bergbaugerät, ließ immense Planken in der Werftenindustrie zu
Riesententakeln zerschneiden, die er mit tonnenschweren Apparaten in
liebevolle Umarmung zwang - ähnlich dem Felsenstemmen in den baskischen
Dörfern.
Wem als einem Basken hätte einfallen können, einen ganzen
Berg wie den Tindaya auf Fuerteventura in eine einzige Skulptur verwandeln
zu wollen? Dann wieder schnitt Chillida winzige Schablonen, fingerte an
Miniaturen mit derselben Akribie wie die baskischen Elektronik-Zulieferer,
die die Region zu einer der reichsten Spaniens machten. Chillida fand die
Poesie, wo sie dem Menschen am fremdesten scheint: In den Elementen. Im
freien Raum. In der Industrie.
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