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21.08.2002 - Kultur News
Baskischer Wind weht durch seine Werke
Eduardo Chillida starb in der Nacht auf Dienstag im Alter von 78 Jahren. Ganz Spanien trauert um den Bildhauer.
Von unserem Korrespondenten NIKOLAUS NOWAK


Der Mann bewegte sich wie ein Geist zwischen den groben Granitblöcken, Stahlträgern, Alabasterklumpen und Holzbalken. In beigem T-Shirt, Leinenhose und Segeltuchschuhen stand er da mit seinem zerzausten Haupthaar: Eduardo Chillida, ein Engel in einer grobgeschnitzten Welt, zwischen unbezwingbaren Materialien, gezähmt zu bizarren, kubischen Formen.

Geschmeidig wand er vor einer Stahlplastik die knorrigen Finger ineinander. "Die Form, ist sie einmal in Schwung, gibt ihre eigene Bewegung vor. Die perfekte Form, das sind für mich menschliche Hände", sagte er lächelnd. Dann nahm er einen Marmorblock aus einem Würfel: "Meine Werke sollen atmen. Ich möchte, daß der Wind durch die Skulpturen weht."

Ein Zufall, daß der Bildhauer vor zwei Jahren dem Reporter in die Arme lief. Chillida, an Alzheimer leidend, hatte sich längst von der Öffentlichkeit zurückgezogen. Damals, August 2000, unternahm er einen letzten Rundgang durch seinen locus amoenus, den "Chillida Leku" (baskisch: Chillidas Ort), wo nun seine Asche verstreut wurde: sein eigenes Museum in der von radikalen Nationalisten regierten Heimatgemeinde Hernani bei San Sebastian.

Kurz darauf, bei der Eröffnung, richtete die baskische Terrororganisation Eta Granatwerfer auf den Landschaftspark. Ziele: König Juan Carlos, Premier José Maria Aznar und Gerhard Schröder, der die fürs Berliner Kanzleramt gedachte Plastik "Berlin" über die deutsche Wiedervereinigung besichtigte.

Der 1924 in San Sebastian geborene Künstler konnte nie abseits der Politik stehen: 1943, kaum eingeschrieben im Architektur-Seminar von Madrid, floh er nach Paris, um Bildhauer zu werden. Das Franco-Regime duldete seine futuristischen Experimente nicht. Erste Arbeiten mit Terrakotta und Gips sorgten im Ausland für Aufsehen, 1958 erhielt Chillida den Preis der Biennale Venedig. Erst spät folgte der Triumph in der Heimat.

Dabei hatte Chillida schon vier Jahrzehnte vorher die Rückreise angetreten: 1951 schuf er in Hernani seine erste Stahlarbeit "Ilharik", 1961 sein erstes Werk aus Holz. In Chillida Leku stehen heute neben einer alten Bauernkate sechs bis acht Meter hohe Stahlkonstruktionen zwischen Buchen, Eichen, Linden und Zedern. Sie setzen in der feuchten Atlantikluft Patina an.

Massive Steinblöcke

Im Inneren blieb Chillida stets vor allem Baske. Seine massigen Steinblöcke erinnern an vorzeitliche Grabskulpturen, die knorrigen Eichenbalken an die tiefen Wälder der Provinz Guipuzcoa, die massigen Stahlarbeiten an die Schwerindustrie, mit der Franco kastilische Arbeiter in der abtrünnigen Region ansiedelte. Chillida arbeitete mit Kränen und Bergbaugerät, ließ immense Planken in der Werftenindustrie zu Riesententakeln zerschneiden, die er mit tonnenschweren Apparaten in liebevolle Umarmung zwang - ähnlich dem Felsenstemmen in den baskischen Dörfern.

Wem als einem Basken hätte einfallen können, einen ganzen Berg wie den Tindaya auf Fuerteventura in eine einzige Skulptur verwandeln zu wollen? Dann wieder schnitt Chillida winzige Schablonen, fingerte an Miniaturen mit derselben Akribie wie die baskischen Elektronik-Zulieferer, die die Region zu einer der reichsten Spaniens machten. Chillida fand die Poesie, wo sie dem Menschen am fremdesten scheint: In den Elementen. Im freien Raum. In der Industrie.



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