Ungeschönte Beobachtungen des Alltags
MARTIN BEHRGRAZ (SN). Sie werden in ihrem Arbeitsalltag gezeigt, am Fließband, im Stahlwerk, bei der Wollerzeugung, bei der Kolbenringfertigung oder im Versandkaufhaus. Frauen und Männer aus der englischen Stadt Bradford dienten dem in Neuseeland geborenen Film-, Video- und Fotokünstler Darcy Lange (1946–2005) als Protagonisten für seine von Nüchternheit und Verzicht auf Ästhetisierung geprägten Arbeitsweltstudien.
Die Camera Austria im Grazer Kunsthaus zeigt bis 27. Juni in einer Retrospektive ausgewählte Projekte eines Künstlers, der sich stets darum bemüht hat, die Realität möglichst wirklichkeitsgetreu und objektiv nachzuzeichnen. Darcy Lange betrieb unter der Oberfläche des Dokumentarismus Gesellschaftskritik, als Medium für sein soziales Engagement wählte der ausgebildete Bildhauer die Videokamera. Die Fotografie beschränkt sich meist auf die Rolle des Standbildes. Ab 1971 produzierte er Studien von „Menschen bei der Arbeit“. Die bewegten Bilder geizen mit raffinierten Blickwinkeln, effektvollen Schnitten oder anderen subjektiven Zugängen. Langes konzeptiver Ansatz äußert sich unter anderem in der fixen Kameraposition und in der limitierten Länge der „rohen und ungeschönten“ Videoaufnahmen. In seiner Serie „Work Studies in Schools“ zeichnet er in unterschiedlichen Schulen Unterrichtsstunden auf. Was spröde klingt (z. B. „Mr. Hughes beim Unterrichten der Lektion ,Das Rad‘“) ist letztlich ein Zeitdokument über Lernprozesse, das einiges über die Ausbildung eines Klassensystems, über Hierarchien und andere soziale Barrieren sichtbar macht.
Darcy Lange war das Kind einer Zeit, in der an gesellschaftliche Veränderung durch Kunst geglaubt wurde. Der Flamenco-Liebhaber unterstützte mit seinem „Maori Land Project“ den Kampf neuseeländischer Maori-Aktivisten um Landrechte, begleitete unermüdlich Schafscherer, Flugzeugdüngung, Feldarbeiter mit seiner Kamera.