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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Aufregung um Muehl 
02.03.2004
20:00 MEZ
Kommentar: Der Heide-Despot
Otto Muehl und die nicht überbrückbare Kluft zwischen Kunst und Verbrechen - von Gerfried Sperl

Selbst was das Auseinanderklaffen von Leben und Kunst betrifft, ist Otto Muehl nicht einzig. Bildende Künstler, die verschiedener Verbrechen bezichtigt, angeklagt oder verurteilt wurden, gab es immer wieder. Der berühmte Caravaggio war ein Gewalttäter und Mörder, Benvenuto Cellini (Schöpfer der geraubten "Saliera") wurde wegen Gewalttätigkeit und Sodomie mehrmals angeklagt, später sozial geächtet. Er hatte einen Rivalen ermordet. Beide, Caravaggio und Cellini, blieben als Künstler mehr oder weniger "im Geschäft".

Was darf der Künstler? Mord, das nicht, sagt Muehl immer wieder. Wenigstens diese Festlegung. Aber sonst dürfe der Künstler alles. Was er Anfang der 90er-Jahre gestanden hat, die Verführung Minderjähriger, das schiebt er heute seinem Anwalt zu. "Ich bin kein Kinderschänder. Das ist doch Blödsinn. Das waren alles entwickelte Mädchen", sagte er kürzlich in einem Interview mit der Hamburger Zeit. Also auch keine Reue, sondern: "Rufmord."

Dass Otto Muehl seine Strafe abgesessen hat und ins zivile Leben (20 km außerhalb von Faro in Südportugal) zurückgekehrt ist, steht auf der einen Seite. Auf der anderen steht die Debatte um die Frage, ob das aktuelle Werk eines Mannes, der sich keiner Schuld bewusst ist, in Ausstellungen gezeigt werden kann. Ob das nicht ein Affront gegenüber den Opfern sei. Umso mehr, als Minderjährige von damals erst heute reden, gleichzeitig aber nicht bereit sind, bei einer Veröffentlichung die Beweislast zu übernehmen.

Muehls Verurteilung hatte zusätzliche Folgen. Er musste büßen. Er konnte und kann de facto auch nicht auf den Friedrichshof zurück. Man würde ihm keine Wohnung vermieten. Man hätte ihm auch kein Haus in der zum Friedrichshof gehörenden Finca El Cabrito auf der Kanaren-Insel La Gomera überlassen. Mehr noch: Die meisten Freunde sind von ihm abgefallen.

Seine Malerei, die nicht nur die wenigen verbliebenen Ambitionen nährt, sondern auch den Lebensunterhalt, die unterliegt anderen gesetzlichen Bestimmungen. Kein Gericht kann deren Publizierung mit den ehemaligen Straftaten koppeln - um sie zu untersagen. Otto Muehl darf jene Rechte in Anspruch nehmen, die ihm zustehen. Umgekehrt sind Ausstellungen wie die im Wiener MAK keine Plakatierung. Man kann hingehen - oder auch nicht.

Angesichts der Brisanz dieser Vergangenheit führt jede Ausstellung zu einem medialen Prozess, der allein in den letzten beiden Wochen große Interviews und Storys in der Süddeutschen, in der Frankfurter Allgemeinen, im Spiegel, in der Zeit und in der Berliner Zeitung ausgelöst hat. Wer ist die Henne? Wo das Ei? Und wie groß ist der Anteil des Hauptakteurs selbst, der trotz Parkinson und Impotenz immer noch Kraft genug hat, um die Öffentlichkeit mit zitablen Sätzen zu versorgen: "Der Mensch ist ein Ferrari. Die Erziehung hat aus ihm ein Goggomobil gemacht."

Im Blick auf die in den letzten Jahren bekannt gewordenen Verbrechen von Priestern, im Blick auf den Fall Dutroux, auf die Vorwürfe gegen Michael Jackson überlagert die Diskussion um Otto Muehl ein möglicherweise folgenschwereres gesellschaftspolitisches Experiment. Bis zu 700 Kommunarden waren in den 70er-und 80er-Jahren zeitweise am Friedrichshof. Das System der "Gruppenleiter" und "Bewusstseinsverbreiter" stand für eine autoritäre Struktur, der verordnete Beischlaf und die auf die sexuellen Bedürfnisse Muehls abgestimmte Hierarchie führten ganz sicher zu Verletzungen, die sich bei den wenigsten wieder ausheilen ließen.

Verbot oder Auseinandersetzung? Das Zweite. Das Geschehene kann zwar nicht korrigiert werden, aber die Möglichkeit, unter dem Deckmantel der "freien Liebe" oder des "geilen Kapitalismus" neue Varianten der Unterdrückung der Gesellschaft zu errichten, sinkt. Im Fall Muehl steckt Tragik. Der Enge ihrer (groß)bürgerlichen Eltern entflohen die Kommunarden und wurden zu Opfern eines Heide-Despoten, der eine Kunst-Diktatur errichtet hatte. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3. 3. 2004)


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