04.07.2003 21:11
Gesamtkunstwerk Provinzhauptstadt
Die Gründung der "Republik Acconci" als amüsanter Zerrspiegel von "Graz
2003"
Graz/Acconci a. d. Mur - Sie hat eine niedrigere Glücksspielrate
als das Fürstentum Monaco, ihre (offizielle) Fruchtbarkeitsrate ist höher als
die des Vatikanstaats, und Max Frisch hat nie ein Theaterstück mit ihrem Namen
verfasst - doch in ihr ist alles Theater: die Republik Acconci an der Mur, ein
wahrer Inselstaat.
Ausgerufen am Donnerstagabend von Grazer Bürgern, die
im Brotberuf Schauspieler und Regisseure des Theaters im Bahnhof (TiB) sind und
mit der Staatsgründung das auf die Mur-Insel zurückholen, was zum Designerteil
des New Yorkers Vito Acconci passt wie die Faust aufs Auge: die hohe Kunst der
Provinzialität. Bis 13. Juli soll zehn Tage lang die "provinzielle Essenz des
echten Graz" gerettet werden. Nach der Devise: Ganz Graz ist nur Theater, alles
hier gespielt, nur in Acconci herrscht das echte Leben.
Im Programm der
Kulturhauptstadt sieht das so aus: Das TiB-Ensemble bespielt rund 14 Stunden am
Tag die "sicherste Insel der ganzen Welt" samt "Strand der Halbperfekten", wo
man selbstbewusst "die eigenen körperlichen Unzulänglichkeiten" zur Schau tragen
kann.
Doch Konsul Hoff alias Helmut Köpping erklärte bei der feierlichen
Staatsgründung am Donnerstagabend, dem ersten Staatsfeiertag von Acconci, die
"Wirklichkeit": Ein Heer von Statisten und arbeitslosen Schauspielern spielt
2003 die gesamte Grazer Bevölkerung. Und - wie Hoff anhand eines Videos
bemängelte - sie tut es nicht besonders gut. Etwa am Grazer Kaiser-Josef-Markt,
wo Schmierendarsteller mit leeren Taschen vorgeben einzukaufen. Nach des Konsuls
Predigt und der vom slowenischen Regisseur Thomas Strucl inszenierten
Blaskapelle (Komposition: Mitja Smrekar) wurde mit einem ferngesteuerten
Kampfjet über der Freiluftarena des Inselstaats dessen Abwehrkraft
demonstriert.
Später weihte die Wiener Gruppe Maschek, die mit ihren
Livesynchronisationen von ORF-Programmen einen tiefer gehenden Blick in die
österreichische Medienlandschaft wagte, die ersten Gäste mit ihrem Safety Dance
in die Theorie ganzheitlicher Sicherheit ein.
Staats- und
Ehrengäste
Acconci an der Mur hat aber auch sein eigenes Fernsehen,
seine Talkshow, tägliche "Einschlafgespräche" und Familien, die Hochzeiten
feiern, wie sie fallen. Die Geschichte der Republik wird zudem von Hygiene Heute
aus Deutschland, dem Baseler Theater Klara und den Performancekünstlern Forced
Entertainment aus dem englischen Sheffield bestimmt werden. Sie alle sind
Staatsgäste.
Die Liste der Ehrengäste der Eröffnung war indes eine Umkehr
üblicher Events von Graz 2003: Aus dem Telefonbuch wurden 200 Grazer mit schönen
Namen - unter ihnen eine Cäsar und eine Kanzler - gewählt und mit Begleitung
eingeladen. Sie wurden mit Sekt empfangen, während der
Kulturhauptstadt-Intendant Wolfgang Lorenz und VP-Kulturstadtrat Christian
Buchmann noch auf der Warteliste für Restplätze standen. (DER STANDARD,
Printausgabe vom 5./6.7.2003)