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18.10.2005 - Kultur&Medien / Ausstellung
KHM: Der Exorzist, der aus dem Rokoko kam
VON NORBERT MAYER
Kunsthistorisches Museum. "Francisco de Goya. Prophet der Moderne" zeigt alle Facetten des spanischen Malers.

Wer hier eintritt, wird schon von der Inszenierung überwältigt. Das Kunsthistorische Museum ist auf den Geschmack gekommen: Bereits für die wiedereröffnete Antikensammlung setzte man raffinierte Lichteffekte ein. Gekonntes Spiel mit Licht fällt auch bei der Sonderausstellung "Francisco de Goya 1746-1828" auf. Die 70 Gemälde, 35 Zeichnungen und elf Tapisserien, die in vier Räumen gezeigt werden, entwickeln vor dem Hintergrund dunkler Wände Strahlkraft. Der erste Raum mit Gemälden signalisiert: Hier gibt es Sensationen!

Man wird mit "La Marquesa de Santa Cruz" aus dem Prado (1805) konfrontiert, sie räkelt sich, züchtig verhüllt, doch lockend wie die "Nackte Maja", ebenbürtiger Ersatz für das Bild, das der Prado nie verleiht. Zu linker Hand zwei Selbstporträts Goyas aus Madrid, zu rechter Hand das berühmte Kinderbild "Manuel Osorio Manrique de Zúñiga" (1790/92) aus dem New Yorker Metropolitan Museum. Hier wird geklotzt. Im ersten Raum dominieren die luftigen Gemälde des Hofmalers. Das ist der helle Goya, der Karrierist im Dienste des Hochadels, der oberflächlich gesehen dem Rokoko anhing, 1789 König Karl IV. und Königin Maria Luisa von Parma porträtierte.

Im zweiten Raum aber wechselt die Farbe von Blau zu Grau. Es wird düster. Transparent leuchten nur die Zeichnungen. Sie zeigen dadurch noch deutlicher die dunkle Seite dieses frühen Modernen. Er demonstriert das Handwerk des Tötens; Garrottierte, Erstochene, Erschlagene. Man fällt unter die Mörder, gerät in diesen Bildern der Gewalt in die Alpträume eines Exorzisten, wie Goya einmal vom Kunsthistoriker Werner Hofmann bezeichnet wurde.

1789 brach in Europa die Krise der höfischen Gesellschaft aus, 1793 geriet Goya in eine schwere Lebenskrise. Er erkrankte schwer, ertaubte. Er begann, kleine Bildchen des Wahnsinns zu malen, des inneren wie des äußeren. Der Gipfelpunkt dieser Kunst sind die ab 1810 entstandenen "Desastres de la Guerra", unglaubliche Szenen aus dem Bürgerkrieg. Diesen schrecklichen Goya reklamieren bis ins 20. Jahrhundert viele für sich, die nach ihm den Weg in die Moderne gingen, bis zu den Expressionisten und Surrealisten. Die Welt ist aus den Fugen, und Goya zeichnet das auf, mit einer Hintergründigkeit, die noch heute schockiert. "Duell mit Messern" (1812-1820), "Ein Mann bringt einen Mönch um" (1824-28) lehren in wenigen Strichen die Gemeinheit und Verlorenheit des Menschen.

Konträr ist die Anmutung im dritten Raum, der vor allem Tapisserien zeigt. Es wird wieder etwas heller: "Der Sonnenschirm" (1777), ein Auftrag für die Wohnräume des künftigen Königspaares, scheint zauberhaft heiter zu sein. Doch es weht ein scharfer Wind, Wolken ziehen auf, die Schatten sind lang. Und wer würde nach den Schrecken des Krieges dem Frieden trauen? Der Carton "Riña de gatos" (1786/87) befindet sich hier, fast sind die streitenden Tiere mit ihren angelegten Ohren nicht als Katzen zu erkennen, sie könnten zu den Ungeheuern in Goyas Alpträumen zählen. Gedacht waren sie als Teil einer Jahreszeiten-Folge für das Speisezimmer des Kronprinzen. Die übrigen Tierdarstellungen - Vögel, Pferde, Widder, Hunde, Kaninchen - stehen für das harmonische Miteinander von Mensch und Natur. Nur die Katzen streiten.

Abgerundet wir die Schau durch exemplarische Stillleben im vierten Raum. Einfache Objekte des Alltags, möchte man meinen, "Goldbrassen" , "Hasen", Waldschnepfen (1808-12). Doch der naive Blick, die einfache Betrachtung der Natur ist nicht mehr möglich nach so viel Grauen und Verstellung. So destruktiv, so umstürzlerisch ist die Gesamtwirkung. Im toten Fischauge glaubt man den Wahnsinn zu erkennen, überall lauern menschenfressende Riesen und böse Hexen, kaltblütige Inquisitoren. Goya mit seinen überraschenden Perspektiven und subtilen Ungereimtheiten ist immer mehrdeutig, selbst in der Idylle.

230.000 Besucher hat die von Manuela B. Mena Marqués Rosenthal kuratierte Schau über den Sommer in Berlin angelockt. Im KHM könnte dies bis Jänner sogar übertroffen werden. Bietet sich doch eine rare Gelegenheit, diesen spanischen Meister mit seinen vielen Facetten auch einmal in Wien kennen zu lernen. Denn nach dieser Schau ist das Kunsthistorische Museum, wie Thomas Bernhard in "Alte Meister" maliziös anmerkte, schändlicherweise wieder ohne ein einziges Bild von Goya. Und das schmerzt.

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