text breit    text schmal   
drucken 

derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst | Aufregung um Muehl 
04.03.2004
18:21 MEZ
Von Michael Pfister, Exkommunarde am Friedrichshof
 
Otto Muehl - Das Leben ein Kunstwerk?
Offener Brief an Peter Noever - ein Kommentar der anderen

Sehr geehrter Herr Noever! Gestatten Sie mir bitte ein paar Anmerkungen zu Ihrer Ausstellung über Otto Muehl, die notwendigerweise ein fundamentales Thema der Kunstbetrachtung, nämlich den Zusammenhang zwischen Leben und Werk eines Kunstschaffenden, berühren.

Selbstverständlich gehören die Person des Künstlers, sein Werk und seine Biografie zusammen - vor allem aus soziologischer und sozialgeschichtlicher Sicht. Es kann das Verständnis des Betrachters für einen Künstler nur vertiefen, wenn er alle Hintergründe seines Schaffens kennt. Welche Bedeutung hat diese Kenntnis aber für die Beurteilung seines Werkes?

"Darf" ein künstlerisches Werk als großartig beurteilt werden, auch wenn der Künstler selbst sich eines Verbrechens schuldig gemacht hat? Diese Frage stellt sich nicht erst seit Caravaggio, seit Genet, W. S. Burroughs usw.

Ich glaube im Namen der Kunst auf dem Standpunkt beharren zu müssen, dass dieser Trennstrich sehr wohl zu ziehen ist: Dass man ein künstlerisches Werk sehr wohl ohne Miteinbeziehung des jeweiligen Charakters des Künstlers schätzen, dass man z. B. die Werke Caravaggios trotz seines problematischen Charakters als äußerst wertvoll betrachten kann.

Mit anderen Worten: Mag Otto Muehl sich zahlreicher Verbrechen schuldig gemacht haben, sein Werk steht für sich und wird von den einen als herausragend und innovativ, von anderen als eklektizistische Belanglosigkeit angesehen werden. Solche Beurteilungen sind erfahrungsgemäß im Fluss. Wer weiß, wie sie in 30 Jahren ausfallen? Darum also soll es nicht gehen, und bis hierhin werden Sie mir vielleicht auch zustimmen.

Was aber soll man davon halten, wenn Sie auch die Friedrichshof-Kommune in den Kontext der Muehlschen Kunst stellen? So, als gehe es hier nicht um eine von vielen Ausformungen eines internationalen gesellschaftlichen Aufbruchs, sondern um eine von singulärer Künstlerhand geschaffene "Sozialskulptur", die sich Meister Muehl in 20-jähriger Kleinarbeit abgerungen habe, um sie schließlich der Öffentlichkeit mit dem Gestus "Sehet mein Werk, es ist vollendet" zu präsentieren.

Nichts anderes nämlich wird in dieser Ausstellung - alleine schon durch deren ursprünglichen, mittlerweile nur unwesentlich modifizierten Titel "Otto Muehl - Das Leben ein Kunstwerk" - suggeriert. Ist das nicht lächerlich? Riecht das nicht nach kindischem Elitismus? Schwingt da nicht die Sehnsucht eines "kleinen Landes" mit, sich einen großen österreichischen Demiurgen und "revolutionären" Künstler zu schaffen, um im internationalen Kulturpalaver besser punkten zu können? Drängt sich da nicht der Verdacht auf, dass da auch massive Geldinteressen bedient werden sollen, indem man solcherart schlicht den Preis für Muehl-Produkte in die Höhe zu treiben hofft?

Lächerliche Anmaßung

Die Kommune ist aus ihrer Entstehungszeit heraus zu verstehen, aus den Lebensentwürfen der "68er", aus der Kommunen-Bewegung, aus der damaligen Beschäftigung mit der psychischen Selbstbefreiung, Wilhelm Reich, Janovs Urschreitherapie usw.

Das waren die Gründe, warum zahlreiche Jugendliche und junge Erwachsene sich an einem Experiment beteiligten, in dem all das, was sie an der Gesellschaft, in der sie lebten, kritisierten, aufgehoben werden sollte. Und da nimmt Otto Muehl für sich in Anspruch, das alles als "Kunstwerk" geschaffen zu haben? Was wären denn dann wir, seine "Mitstreiter" und egalitäre Gruppenmitglieder gewesen? Farbpigmente? Weicher Ton in den Händen des Gestalters? Lächerlich, größenwahnsinnig - und für Muehl selbst äußerst fatal. Denn dieses Experiment ist schließlich nicht zuletzt daran gescheitert, dass es Muehl mehr und mehr gelang, sich seiner zu bemächtigen: Er unterdrückte allmählich alle demokratischen Impulse, baute sich mithilfe eines Spitzelsystems und vielfältiger Repressionen eine unkontrollierbare Position auf und lebte in ihr wie die Made im Speck. Unter anderem auch, um seine gestörten sexuellen Bedürfnisse ungehindert an Kindern ausleben zu können. So einfach und banal ist das.

Parallelen dazu muss man erst gar nicht in der großen Geschichte suchen, die gibt es schon in Kirchenvereinen, Dorfgemeinschaften usw. - eben in vielen geschlossenen Gesellschaften.

Fatale Beschönigung

Faktum ist: Er hat damit unser Experiment in unglaublicher Weise beschmutzt, und ich empfinde es als tragisch, dass sich Menschen nach langjährigem Engagement für diese Utopie inzwischen fast nur noch schamhaft dazu bekennen können. Das haben sie eigentlich nicht verdient.

Verteidigen Sie in Gottes Namen Otto Muehl als großen Künstler - das ist ein akzeptabler Standpunkt, über den man streiten kann; erweisen Sie in Gottes Namen der Kommune als realen Versuch einer utopischen Gegengesellschaft Ihren Respekt, aber stülpen Sie diesem Experiment nicht den Begriff "Kunstwerk" über. Denn dann identifizieren Sie gerade den, der das Experiment scheitern ließ, mit dem Experiment selbst und geraten in Gefahr, Kindesmissbrauch als Bestandteil eines Gesamtkunstwerks zu beschönigen.

Als ehemaliges Mitglied der Kommune Friedrichshof fordere ich daher, alles aus der Ausstellung "Otto Muehl. Leben/Kunst/Werk - Aktion/Utopie/Malerei" zu entfernen, was mit dem Kommunenleben in Verbindung steht.

Otto Muehl hat in der Kommune schwere Verbrechen begangen. Und Verbrechen dürfen nicht unter dem Deckmantel der Kunst verharmlost werden. (DER STANDARD, Printausgabe, 5.3.2004)


© 2004 derStandard.at - Alle Rechte vorbehalten.
Nutzung ausschließlich für den privaten Eigenbedarf. Eine Weiterverwendung und Reproduktion über den persönlichen Gebrauch hinaus ist nicht gestattet.