Nach Hause telefonieren | |
Von Sandra Manhartseder
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Das Pfingstfest, so hört man oftmals, ist
ein besonderes religiöses Fest. Es ist das arme, vernachlässigte Fest, das
mit Mega-Events wie Weihnachten oder Ostern nicht mithalten kann. Und weil
Armen und Unterdrückten - auch wenn es religiöse Feierlichkeiten sind -
geholfen werden muss, soll das Pfingstfest in seiner ihm gebührenden Ehre
zelebriert werden. Brausen oder Browser? Eigentlich ist es schwer verständlich, warum gerade die Feier zur
Gründung einer community auf so wenig Euphorie stößt. Nichts
anderes passierte bekanntlich zu Pfingsten, dem "Geburtstag der Kirche",
als die Jünger vom Heiligen Geist erfasst wurden und ihre
Missionstätigkeit so erfolgreich begannen, dass sich auf der Stelle 3000
bislang Ungläubige taufen ließen. Und da das Ganze darüber hinaus auch
höchst immateriell vonstatten ging, "zeigt" sich der Geist - wie es sich
für einen solchen eben gehört - nur durch metaphorisches Brausen und
flammendes Züngeln. Aktueller geht es für ein religiöses Fest eigentlich nicht mehr, ist
man nur bereit zu begreifen, dass neben der Geburt einer community auch
der public access gefeiert wird. Der Heilige Geist ist dann nichts anderes
als der Garant einer connection nach oben, der die Barrieren - in diesem
Fall sprachliche - überwindet und so den Infofluss gewährleistet. Glaube, Liebe, Hoffnung Der Verdacht, dass der Cyberspace vom Himmel nicht weit entfernt sein
kann, kam einem schon 1996, als John Perry Barlow der (virtuellen) Welt
seine Declaration of the Independence of Cyberspace schenkte.
"Our identities have no bodies" steht da zu lesen, und: "The only law that
all our constituent cultures would generally recognize is the Golden
Rule". Warum sollte es im Cyberspace auf einmal so anders sein als in der
bösen "realen" Welt? Nun, die Antwort basiert wohl auf denselben
Prinzipien, die auch den Himmel so attraktiv erscheinen lassen: Glaube und
Hoffnung (die Liebe, übrigens, kommt im Cyberspace ohnehin nicht zu
kurz). Künstliche Paradiese Es gibt also so etwas wie einen Himmel "im Zeitalter seiner technischen
Reproduzierbarkeit", um es mit Walter Benjamin zu formulieren, ein
Jenseits, dessen Zugang käuflich erwerbbar ist (auch das hat ja
historische Vorformen). Der Eintritt in den Cyberspace ist zwar sicher
nicht ganz so definitiv wie jener in den Himmel, zwei wesentliche Aspekte
teilen sie aber doch: Körperlosigkeit und Gleichheit. "We will create a
civilization of the Mind in Cyberspace", schrieb wiederum Barlow und
beschwor damit die Befreiung von den beengenden Fesseln der physischen
Identität. Und im Geist sind wir natürlich alle gleich - das lehrt uns
nicht zuletzt das Pfingstfest. Heaven can't wait Die Metaphern von der schönen neuen Welt im Cyberspace sind breit
gefächert, reichen von den höchst spirituellen Entleibungsfantasien bis
hin zu profaneren Vorstellungen einer (virtuellen) Geschenksökonomie, die
das Gegenstück zum Turbokapitalismus sein soll. Auch wenn wohl nur noch
die wenigsten Barlow's "Declaration of Independence" unterschreiben
würden, eines zeichnet die Debatten um das Internet immer noch aus: Es ist
das "Andere", die Gegenwelt, die zwar auch langsam aber sicher ihrer
Säkularisierung ins Auge blicken muss, aber nach wie vor so manche
Hoffnung auf bessere Zeiten erweckt. Die Experten Und das ruft - zwar etwas verspätet - so manchen Experten in Sachen
Wunder und Transzendenz auf den Plan. Die Theologen entdecken das Netz und
sind offenbar ein wenig verunsichert. Zunächst ist da der naheliegende Plan, das neue Tool für die eigenen
alten Ambitionen zu nützen. Die nunmehr fünfte European Christian Internet
Conference fand diesmal in Finnland statt und ist vor wenigen Tagen zu
Ende gegangen. Bereits 1998 wurde auch von dieser Seite eine Erklärung
verabschiedet, in der sich die europäischen Kirchen verpflichten, "to take
full advantage of the potential of the Internet". Der Exorzist Natürlich ist das rein infrastrukturell gemeint und an Aktualisierung
alter kirchlicher Bräuche denkt hier niemand. In dieser Hinsicht sind
amerikanische Geistliche europäischen einmal mehr weit überlegen. Ein
gewisser Reverend Jim Peasboro wittert im Netz die Chance, alte, in die
Kategorie Horrorfilm abgewanderte Praktiken wiederzubeleben. "While the
Computer Age has ushered in many advances, it has also opened yet another
door through which Lucifer and his minions can enter and corrupt men's
souls," berichtet der Geistliche im vermutlich exklusiven Interview in Weekly World News,
einem in vielerlei Hinsicht hoch interessanten Magazin. Teufel und Kumpanen üben sich auch heute noch in lang erprobten
Verführungskünsten, zwingen brave Ehemänner zum Betrachten von Porno-Sites
und biedere Ehefrauen in einschlägige Chat-Rooms. Reverend Peasboro
arbeitet - so zumindest Weekly World News - derzeit an einem Buch über die
magische Macht des Bösen, dessen neues Zuhause die Festplatte ist.
Aufklärung tut auch dringend Not, schließlich geht der Experte von bereits
10% befallenen amerikanischen PCs aus. Der Mahner Als Mythen-Abbauer versteht sich der evangelische Theologe Jörg Herrmann, der sich dem Internet als kritischer
Kulturwissenschaftler nähern will. Er dokumentiert die erwähnten
Parallelen christlicher Jenseitsvorstellungen und moderner
Technikhoffnungen, kritisiert letztere und mahnt zu Besonnenheit im Umgang
mit dem Cyberspace: "Der aus dem Garten Eden vertriebene Mensch hat (...)
genug mit seiner Menschwerdung zu tun. Hoffen wir, dass die
Digitalisierung ihm dabei hilft und nicht neue Monster hervorbringt." Der Mythen-Abbauer wird schnell zum Mythen-Aufbauer, wenn einmal mehr
die Eigendynamik technischer Entwicklung beschworen wird, gegen die nur
ein Mittel hilft: Hoffnung. Dass es darüber hinaus nur konsequent wäre,
nicht nur die neuen Mythen des Cyberspace zu kritisieren, sondern eben
auch die ursprünglicheren der christlichen Tradition, sei nur nebenbei
bemerkt. Jedem sein Wölkchen Das neue Medium kann manchmal ziemlich alt aussehen. Dann, wenn es
darum geht, was davon zu halten ist. "Das heißt, es gibt verschiedenste
Vorstellungen vom Internet, die wahrscheinlich deshalb in sich so
widersprüchlich sind, weil das Netz eine weiße Fläche ist, auf die
tatsächlich jeder projizieren kann, was er will. Die größten Ängste, die
größten Gefahren, die größten Hoffnungen", meinte Oliver Marchart kürzlich
in einem Interview. Wichtig ist, man ist dabei, bei der anhaltenden eifrigen Suche nach
neuen-alten Wunschvorstellungen, die Jenseits wie Cyberspace so bunt
aussehen lassen... | ||