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Kunstberichte
Das Untere Belvedere präsentiert eine große Retrospektive des österreichischen Malers Herbert Boeckl

Politik mit Abstand vom Spektakel

Einflussreiche Kunst: Herbert Boeckls "Liegender Frauenakt". Foto: Boeckl-Nachlass, Wien

Einflussreiche Kunst: Herbert Boeckls "Liegender Frauenakt". Foto: Boeckl-Nachlass, Wien

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Aufzählung Herbert Boeckl gilt neben Egon Schiele und Oskar Kokoschka als Österreichs bekanntester Expressionist. Zwar hat der ehemalige Architekturstudent mit der Neukunstgruppe um Schiele erste Ausstellungen in Wien bestritten, ging aber nach dem Ersten Weltkrieg schnell ins vitalere Berlin.

An der Italienfront wurde der Kunsthistoriker Bruno Grimschitz sein Freund, der erste Werke als Kustos und späterer Direktor der Österreichischen Galerie für das Belvedere ankaufte.

Für die große Boeckl-Retrospektive, die das Haus nun zeigt, konnte also aus dem Fundus geschöpft werden: 22 der 150 gezeigten Werke stammen aus dem eigenen Bestand.

In Berlin war Boeckl auf Paul Cézanne gestoßen, dessen formale Lösungen nicht nur Boeckls expressiven Stil beruhigten, sondern auch auf seine Kunstpolitik, wie er sie später in Österreich machtvoll betrieb, nachhaltigen Einfluss hatten. Der Rückgriff auf einen gemäßigten Stil der "klassischen Moderne" kam dem Künstler im Ständestaat und in der nationalsozialistischen Zeit zugute.

Niemals angepasst

Es wurde ihm zwar später angelastet, wegen seiner Professur der Reichskulturkammer beigetreten zu sein, Boeckl traf aber in seinem Atelier weiterhin Kollegen, deren Werke als "entartet" galten, malte nie konform und holte sofort nach 1945 Fritz Wotruba aus dem Schweizer Exil an die Akademie zurück.

Zusammen haben sie die Westöffnung und die Orientierung an Paris zur österreichischen Kunstpolitik erhoben und sich nicht dem Diktat der abstrakten Kunst aus den USA unterworfen. Diese Weigerung hatte zwar ihre Folgen in der Kunstgeschichtsschreibung. Das Urteil, dass sich Wien damit der Avantgarde verschlossen hätte, hat die Postmoderne aber längst revidiert.

Nach ungeheuer pastosen Experimenten auf der Leinwand in frühen Jahren, bei der Früchte aus Still-Leben und auch porträtierte Personen fast plastisch hervortreten, hat Boeckl sich mit seinen Landschaften einem besonders kontrastreichen, leuchtenden Kolorit verschrieben – das gilt auch noch für seine Serie vom Erzberg. Davor aber hatte er sich mit seiner "Donna Gravida", Steinbruchbildern und der bekannten Serie der "Anatomie" aus dem Jahr 1931 auch Rembrandt verschrieben.

Das Staunen hält an

Als frühen Postmodernen kann man Boeckl aber nur in seinem großen Werkkomplex um die Engelkapelle im Kloster Seckau orten. 1951 fuhr er für Recherchen zu dieser religiösen Monumentalaufgabe durch Griechenland, nach Ägypten und Spanien – Skizzen zeigen seine Paraphrasen der minoischen und ägyptischen Fresken. Zahlreiche romanische Apokalypsen kombinieren sich in seinen eindrucksvollen Aquarellskizzen, davon eine in Collagetechnik mit bunten Seidenpapieren. Das Staunen über dieses Werk von 1952 bis 1960 hält auch heute noch an.

Für den monumentalen Œuvre-Katalog des Belvederes haben die beiden kuratierenden Enkelkinder des Künstlers unter anderem den Historiker Oliver Rathkolb und Experten wie Werner Hofmann, Jean Clair und Jill Lloyd gewonnen – man hat neues Archivmaterial entdeckt, ausgewertet, viele Bilder wiedergefunden, darunter auch eines, das mit dessen jüdischem Sammler ins Exil gegangen ist.

Für die Masse der Exponate aus 50 Schaffensjahren, vom Jugendstil bis zu einigen wenigen abstrakten Kompositionen, musste im Belvedere natürlich eng gehängt werden. Doch das Anatomiekabinett oder die beiden letzten Säle für Seckau lassen diese anfängliche Dichte vergessen.

Aufzählung Ausstellung
Herbert Boeckl – Retrospektive
Agnes Husslein-Arco, Matthias Boeckl (Kuratoren)
Unteres Belvedere
http://www.belvedere.at
bis 31. Jänner 2010

Printausgabe vom Mittwoch, 21. Oktober 2009

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