Die Einheit von Wort und Bild

Bilder, die gelesen, Texte, die betrachtet werden wollen - in den Werken von Günter Brus verschmelzen Dichtung und Zeichnung zu einem untrennbaren Ganzen, das neue Anschauungen herausfordert.


Bild-Dichtungen, seit den frühen 70er Jahren bevorzugte Ausdrucksform von Brus, sperren sich gegen jegliches herkömmliche Verstehen. Sie erinneren manchmal an Koans, dunkle Aussprüche alter Zen-Meister, denen man nachsagt, das Tor zu einer inneren Erleuchtung aufstoßen zu können. Unter dem bezeichnenden Titel "Leuchtstoff-Poesie" wird in der Neuen Galerie der Stadt Linz jetzt eine umfassende Retrospektive der Bild-Dichtungen von 1971-1999 gezeigt,. Es ist dies eine der seltenen Gelegenheiten, eine große Werkauswahl des vielseitigen Künstlers an einem Ort versammelt zu sehen.

Selbstdarstellung

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Die Bild-Dichtung ist eine von Brus selbst erarbeitete Kunstgattung, die sich aus den Aktionsskizzen der 60er Jahre entwickelt hat. Das 1971 im Kohlkunstverlag als Roman publizierte Konvolut aus orgiastischen Bildern und Texten, "Irrwisch", steht am Übergang von der aktionistischen zur bild-dichterischen Phase: Die in Aktionen praktizierten, selbstzerstörerischen "Körperanalysen" werden hier mit zeichnerischen und sprachlichen Mitteln fortgesetzt. Die Identität ist im Zeichen von Sexualität und Gewalt ständig in Frage gestellt.

Von der Lust am blasphemischen Gestus und frei assozierter Obszönität zeugt der neunteilige Zyklus "Kardinäle der Unzucht" (1973/74). Auch in der Bild-Dichtung "Weißer Wind" (1981), die in der aktuellen Ausstellung zu sehen ist, spielen religiöse Metaphern eine Rolle, hier allerdings getragen von Weltflucht und Melancholie. Im Mittelpunkt dieses Zyklus steht die Figur des klagenden Sehers Jakob, die als Selbstbildnis des Künstlers gesehen werden kann.

Seltene Doppelbegabung

Die kunstgeschichtliche Vorläufer des raren Genres der Bild-Dichtung sind die mittelalterlichen Buchmalereien. Seit der Erfindung des Buchdrucks gibt es nur wenige berühmte Beispiele einer künstlerischen Kombination von Bild und Text, darunter etwa die Werke des visionären englischen Maler-Dichters William Blake (1757-1827), die düsteren Fantasien von Alfred Kubin oder die skurrilen von Hermanovsky-Orlando, wobei die beiden letztgenannten im Gegensatz zu Brus ihre Zeichnungen rein illustrativ zum Text fügten.

Thematische Parallelen zu Kubin finden sich vor allem im frühen zeichnerischen Werk von Brus, in dem die Beschäftigung mit traum- und wahnhaften Motiven eine herrausragende Rolle spielt. Bei Brus fehlt es allerdings auch schon im Frühwerk nicht an ironischen Untertönen, grausamen Pointen und burleskem Humor.

Meister der Assoziation

Der Erfindungsreichtum von Günter Brus scheint unerschöpflich zu sein. Im assoziationsreichen Zusammenspiel von Text und Bild eröffnen sich dem interessierten Leser und Betrachter immer neue Sinnbezüge, die seine gebräuchlichen Seh- und Sprachkonventionen hinterfragen. Das thematische Spektrum ist weit gefasst.

"Ich möchte alle Bereiche, die optisch und sprachlich abbildbar sind, einbeziehen", sagt Günter Brus von sich selbst. "Das geht vom Märchen bis zu Vorstößen in abstrakte Bereiche und bis zur Selbstbetrachtung als ein Ausgesetzter und um seine Existenz Bangender."

Dabei spielt Brus immer wieder mit Zitaten aus der Kulturgeschichte, deren profunder Kenner er ist, und bedient sich diverser Stile der bildenden Kunst, von Kubin, Kokoschka, Schiele bis zurück zu Francisco Goya in "Das Inquisit" oder Leonardo da Vinci in "Anekdoteninsel".

Den Schalk im Nacken

Auch im dichterischen Teil setzt sich Brus oft mit dem kulturellen Erbe auseinander und nimmt Bezug auf literarische, philosophische und kunstgeschichtliche Traditionen, wobei bisweilen der nackte Schalk durchblitzt, etwa wenn Heinrich Böll als "gewiss nicht der größte Dichter deutscher Zunge, sicher aber der größte Raucher deutscher Lunge" eingestuft, oder von "Schmalzburger Gebrestspielen" gekalauert wird.

Brus on tour

Die Ausstellung "Leuchtstoff-Poesie", die bereits in Tübingen und Kiel auf Tournee war, ist von 13.4. - 4.6. in der Neuen Galerie in Linz zu sehen. Aus Platzgründen werden nicht alle der ursprünglich über 700 Werke gezeigt, dafür wird die Ausstellung um die eigenen Bestände ergänzt, darunter Fotodokumentationen zweier Aktionen (Wiener Spaziergang, Selbstbemalung II) sowie Gemeinschaftsarbeiten mit Arnulf Rainer.

Anlässlich der Ausstellung ist ein als Faksimile gedrucktes Künstlerbuch erschienen, das den jüngsten Zyklus "Leuchstoff-Poesie und Zeichen-Chirurgie" enthält.

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In den darin enthaltenen Bild-Dichtungen und Texten wird deutlich, das Brus nichts von seiner künstlerischen Spannkraft und seinem Empfindungsreichtum verloren hat. Nicht umsonst heißt es an einer Stelle: "Ein Panther, schwarz wie die Nacht, bewachte das Tor zur Seele - und wenn sie leer war, biss er zu."

Tipps

Günter Brus, Leuchtstoff-Poesie
Bild-Dichtungen 1971-1999
Neue Galerie der Stadt Linz
13. April bis 4. Juni 2000
täglich 10-18 Uhr, Donnerstag 10-22 Uhr
geschlossen am 23., 24. April, 1. Mai und 1. Juni 2000

Die größte Sammlung von Brus-Werken befindet sich in der Sammlung Essl in Klosterneuburg.

Günter Brus wird von der Wiener Galerie Heike Curtze vertreten.

Für Herbst dieses Jahres ist eine Neuauflage des lange vergriffenen Romans "Irrwisch" im Klagenfurter Ritter Verlag geplant.

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