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Essl: „Ich habe die Jagd noch nie gemocht“

02.02.2009 | 18:35 | ALMUTH SPIEGLER (Die Presse)

Zehn Jahre Essl-Museum werden heuer gefeiert. „Die Presse“ begleitete Österreichs prominentesten Sammler und Baumax-Gründer beim Besuch der Diplom-Präsentation der Malereiklasse der Wiener Angewandten.

Darf ich weitermalen?“, fragt Karlheinz Essl und hat auch schon den Pinsel in der Hand. Leicht panisch blickt der Kunststudent auf Staffelei, Leinwand, den älteren Herren, den er nicht kennt, dann in die Runde seiner Professoren – ratlose Gesichter. „Nein! Machen Sie doch Ihr eigenes!“ „Sehr gut“, ist Essl zufrieden. Erleichtertes Lachen in der kleinen Gruppe, die Österreichs prominentesten Kunstsammler bei einem seiner seltenen Rundgänge durch die Universität für angewandte Kunst begleitete, darunter die Malerei-Professoren Johanna Kandl und Gerhard Müller. Fast aber wirkte es, als hätten sie Essl diese kreative Einmischung, eigentlich eine ziemliche Respektlosigkeit, zugetraut. Fast.

Eine Unsicherheit, die an das ambivalente Verhältnis der österreichischen Kunstszene zu ihrem größten privaten Gönner erinnert – Galeristen nörgeln hinter vorgehaltener Hand über die hohen Prozente, die Essl ihnen abverlangt, Museumsdirektoren über die „Lex Essl“, die Spenden auch an private Ausstellungshäuser absetzbar machte, böse Zungen über die Kunstverkäufe, die Essl angeblich im Keller abwickelt („Blödsinn, ich berate nur Sammler, die beginnen wollen.“). Und einige Künstler ätzen, dass er immer die schlechtesten Arbeiten aussuche.

 

„Ich könnte nie ein Tier erschießen“

Was zumindest Johanna Kandl nicht bestätigen kann: „Herr Essl hat ein hervorragendes Auge, sucht immer das Beste aus“, erzählt sie zwischen zwei Präsentationen – und wirkt überhaupt sehr happy. Schließlich nimmt sich der mittlerweile vor allem international umtriebige Sammler gleich mehrere Stunden Zeit, die Diplomarbeiten der Studierenden zu besichtigen. Fragt neugierig nach, freundlich, geduldig, fast großväterlich mild. Hin und wieder lobt er auch, höflich bis enthusiastisch. Zum Beispiel Johanna Berchtold, die mit der durchdachten, perfekt gemalten Safari-Serie „Archaisches Rendezvous“ ihr Studium abschloss. Die Ölbilder gingen von dem Auftragswerk aus, ein Jagdfoto des verstorbenen Vorarlberger Beschlägefabrikanten Julius Blum zu malen. Album um Album blätterte die 22-Jährige durch, näherte sich dem ihr erst wenig sympathischen Thema Großwildjagd – und fand schließlich „auch positive Aspekte“.

Die Bilder wirken illustrativ, werden durch eine Art 70er-Jahre-Patina weicher, versöhnlicher, in eine andere Zeit verortet. Essl zieht prompt eine Parallele zur englischen Malerin Cecily Brown – die auch von der jungen Künstlerin sehr geschätzt wird, wie sie gleich zugibt. Ein riesiges erlegtes Nashorn fällt in einem der Bilder fast aus dem Rahmen. Essl schaudert es, er hat die Jagd noch nie gemocht, erzählt er, könnte nie ein Tier erschießen, würde sich nie mit einer Trophäe brüsten. Trotzdem ist er so begeistert wie nur noch ein zweites Mal an diesem verregneten Nachmittag: „Diese Kraft und Dynamik, eine tolle Serie, ich muss Ihnen wirklich gratulieren.“

 

„Ich kaufe selten spontan“

Kauft er eigentlich manchmal direkt bei Besuchen an Kunstakademien? „Nein, ich kaufe selten spontan, möchte vorher immer mehr sehen von einem Künstler“, erklärt der Baumax-Gründer, der im April 70 wird. Als eine seiner zurzeit besten Informationsquellen nennt er eine Ausstellung im eigenen Museum, die seine Kuratoren für ihn zusammengestellt haben, „Austrian Contemporary“, die Nachwuchsschau läuft noch bis Sonntag. Über 6000 Werke hat er bereits zusammengetragen, das Spektrum reicht längst über die Anfänge mit österreichischer Malerei hinaus – nach Deutschland, China, Australien, Indien. Zum Zehnjahresjubiläum seines Museums in Klosterneuburg wird Essl heuer wieder um eine große Summe ankaufen: Für die Ausstellung „Director's Cut“ spendiert er Direktoren aus neun Museen rund um die Welt je 200.000 Euro – vom Arken Museum Dänemark über die Tate Liverpool bis zum Museum der Moderne Salzburg, dem Muzeum Sztuki Lodz, dem India Habitat Center Neu Delhi – und sich selbst natürlich auch. Mit diesem Budget sollen die sonst ausgebluteten Kollegen einmal einkaufen gehen können, was sie wirklich wollen. Die Arbeiten werden den jeweiligen Institutionen dann als Dauerleihgaben zur Verfügung gestellt, erklärt Essl.

„Darf ich Ihnen ein Bilderbuch mitgeben?“, fragt Diplomandin Doroteya Petrova geistesgegenwärtig, nachdem Essl ihre hauchzarten Zeichnungen begutachtet hat – und eine Widmung bekommt er auch noch. Brav informieren die Studierenden über ihre Arbeiten, bleiben zurückhaltend, keine einzige Gegenfrage wird gestellt. Eigentlich schade.

Essl berichtet von der Leipziger Kunstakademie, wo jeder Studierende ein eigenes Atelier habe, so groß wie der Raum, den sich auf der Angewandten zehn teilen müssen. Essl genießt die Atmosphäre trotzdem sichtlich, er streift durch die Arbeitsplätze, plaudert mit den Malenden, lässt sich Bilder hervorholen. „Ich bekomme schon wieder Lust – aber keine Angst.“ Zehn Jahre lang, von 1968 bis 1978, hat er selber gemalt, schnelle Bewegungsstudien, meist Aquarelle.

 

„Malerei hat mich zu stark beansprucht“

Kunstakademie konnte er allerdings keine besuchen, das erlaubte sein Beruf nicht. Er belegte ein Fernstudium, schickte seine Zeichnungen in die USA, bekam sie von dort korrigiert wieder zurück, jedes Mal von einem anderen Lehrer, erinnert er sich. Warum er aufgehört hat? „Die Malerei hat mich emotional zu stark beansprucht. Wenn mir etwas nicht gelungen ist, hat mich das mehr frustriert als Probleme im Geschäft. Die Kinder, die Firma – ich musste mich entscheiden.“ Das Gespür für Kunst habe er sich aber erhalten – „Ich scanne sehr rasch, der zweite, dritte Blick ist nicht anders als der erste.“

Die Fahrt geht weiter, in den „Kunstraum“ der Klasse Kandl am Anfang der Praterstraße, Essl chauffiert die Gruppe. Nach welchen Kriterien beurteilt er Kunst eigentlich? „Nach ihrem eigenständigen, kreativen Ansatz und dem ästhetischen Anspruch. Es muss mich interessieren, nicht unbedingt mir gefallen. Kunst darf heute alles, the future will prove.“ Stefan Kreuzer wartet bereits, erklärt lang seine komplexe Installation „Die Suche nach dem Paradies“ mit Einkornweizenfeld, Hasenfigur und Bildern, die sich auf die Genforschung beziehen. Essl gratuliert ein zweites Mal besonders herzlich zur durchdachten Installation, überhaupt fand er alle Arbeiten „überraschend eigenständig und engagiert“.

Kritisches Wort kam ihm kein einziges über die Lippen. Sein Vorbild im Umgang mit Künstlern ist der verstorbene Harald Szeemann, mit dem er für eine Ausstellung den Balkan bereiste. „Diese unglaubliche Ernsthaftigkeit, dieses Eintauchen, den ganzen Tag lang“, wird Essl sentimental. Die Ankündigung seines Londoner Sammlerkonkurrenten Charles Saatchi, für die BBC ab Herbst eine Künstlerberatungsshow „Saatchi's Best of British“ zu inszenieren, lässt ihm dagegen „die Haare aufstehen“. Doch jetzt fährt der Sammler nach Hause, der bereitgestellte Sekt blieb unangetastet. Und zumindest zwei junge Künstler strahlten ihm noch ein bisschen nach.


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