13.08.2003 12:49
Medienkunst und Bluffgefahr
Gerfried Stocker, Leiter des Ars Electronica- Festivals, blickt voraus
auf die "wahrscheinlich größte Computertastatur der Welt" - Foto
Linz/Wien - "Mit Medienkunst kann man gut bluffen", der
Unterschied zwischen technischer Spielerei und künstlerischer Intention ist
zuweilen nicht leicht zu erkennen: Kritisch auch gegenüber seinem Feld gab sich
der Leiter der Linzer Ars Electronica Centers, Gerfried Stocker, in einem
Gespräch. Einen (virtuellen) Penisaufreger nach Salzburger Vorbild oder gar eine
davon inspirierte Wiederauflage des "sperm race" aus dem Jahr 2000 werde es beim
diesjährigen Festival nicht geben, versicherte Stocker: "Kunst und Kommerz ist
eine gefährliche Gratwanderung".
Punkten will man im öffentlichen Raum
mit der "wahrscheinlich größten Computertastatur der Welt", die das diesjährige
Festivalthema, "Code", anspricht. An der Fassade der Universität für
künstlerische und industrielle Gestaltung wird das Riesenkeyboard in
Kletterwandgröße errichtet und höchst unterschiedliche Expertengruppen zur
Zusammenarbeit animieren. Zwei "Kenntnis-Eliten", die Extrem-Sportler und die
Programmierer, müssen beim "Teleklettergarten" kooperieren, um Code zu
erschaffen, so Stocker. Das diesjährige Ars Electronica-Festival (6. bis 11. 9.)
wird sich mit "Code" als universelle Sprache der Informationsgesellschaft
auseinander setzen, mit der "Omnipotenz" dieser Technologie, die den Computer
als Werkzeug "gleichermaßen für Business, Kriegsführung, Unterhaltung und Kunst
einsetzbar macht".
Mit der Thematisierung des Codes und der durch diesen
begründeten "Kommunikationskonventionen" greift man auf sprachphilosophische
Diskurse des 20. Jahrhunderts zurück, bestätigte Stocker, setze diese jedoch in
ein "aktuelles Licht". Ein großer Schwerpunkt gelte dem digitalen Code als neuem
Werkstoff der Kunst. "Kunst wird nicht mehr einfach erschaffen, sondern
programmiert". Dass die Medienkunst innerhalb der Nische "zeitgenössische Kunst"
selbst noch ein Nischendasein führt, habe sicher auch den Grund, dass "diese oft
sehr experimentell und damit nicht leicht konsumierbar" ist, meinte Stocker.
Weiters herrsche auch "insbesondere in Österreich - wie man am Bildungsbereich
sieht - eine allgemeine Skepsis den neuen Medien gegenüber. Die Österreicher
sind an der digitalen Revolution nicht sehr interessiert".
Dass der
Konsum von Medienkunst außergewöhnlich viel (technisches) Vorwissen voraussetzt,
will Stocker nicht bestätigen. "Ein studierter Musiker wird eine Mozart-Oper
auch ganz anders hören als ein Laie. Genießen können die Aufführung jedoch
beide." Während "jedermann weiß, wie man sich in einer Galerie verhält", gebe es
beim Konsum von computererzeugter Kunst "noch große Unsicherheit" beim
Rezipienten. "Es wird noch einige Jahre dauern, bis beim breiteren Publikum die
Hemmschwelle ganz abgebaut ist". Dennoch: Die "Gettoisierung" der Medienkunst
ist vorüber, es hat eine "unheimliche Durchdringung" der traditionellen
Kunstwelt durch die digitalen Kunsterzeugnisse gegeben, so Stocker. Dass der
erste Hype der Internet-Boom-Jahre vorbei ist, habe zwar für einen Rückgang der
in dieser Sparte künstlerisch Tätigen gesorgt. Dies sei jedoch "für den Kern der
Szene ganz gut".
Die Ars Electronica sieht Stocker als Plattform der
Diskussion auch der gesellschaftspolitischen Aspekte der technologischen
Entwicklung. "Code" als Gesetz, Kunst und Leben wird in den Kunstprojekten, dem
Symposium und den weiteren Begleitveranstaltungen debattiert. Die
Programmierbarkeit des Lebens durch die Entschlüsselung des genetischen Codes
etwa sei "keine Frage mehr des 'ob' oder des 'wann', sondern vor allem, unter
welchen Rahmenbedingungen dies stattfinden wird. Ob diese noch etwas mit den
humanistischen Ideen vom Staat zu tun haben werden". Das Konzept des Künstlers
als Mahner sieht Stocker auch in Zeiten des Künstlerprogrammierers nicht als
veraltet an. "Wenn dies so ist, dann gehört es dringend wieder belebt. Ich will
den Künstler als aufgeklärte kritische Instanz der gesellschaftspolitischen
Entwicklung nicht missen", so Stocker. (APA)