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14.07.2003 15:04

Feuilleton und Heldentod
"Auf eigene Gefahr" - eine Ausstellung zur weit gehend harmlosen (An)teilnahme in der Frankfurter Schirn Kunsthalle - Foto

Frankfurt - Es war schon berührend, wie Spitzenkräfte des deutschen Feuilletons unlängst, ihrem Erkenntnisdrang blindwütig folgend, ihr Leben riskierten. Im Dienst des Lesers vielleicht, vielleicht aber auch, weil es gerade für sie immer wieder schwer ist, sich mit dem Bestand von Geheimnissen abzufinden. Vor allem dann, wenn die Behauptung im Raum steht, der Vorhang wäre gelüftet, das Rätsel gelöst. Selbst wenn eine diesbezügliche Frage nie gestellt wurde: Das plötzliche Auftauchen einer Antwort entfesselt alle Reflexhemmer. Das muss überprüft werden, da fehlt ein Beweis, das kann man so nicht gelten lassen.

Was war passiert? In Frankfurt war ein Elefant stecken geblieben. In maßloser Selbstunterschätzung seiner Leibesfülle wurde ihm jener Steg zum Verhängnis, der die Schirn mit einem ihr vorgelagerten Nutzlosturm verbindet. Schlichtweg zu dick für die schmale Brücke von der Plattform zur fragwürdigen Aussicht zum Dach der Schirn, hat er sich hoffnungslos in den Geländern verkeilt, lässt seither kraftlos Füße wie Rüssel baumeln und versperrt, den Hintern gen Zeil gerichtet, den Weg. Ein Fall für das Technische Hilfswerk oder den Zoo, sollte man meinen, wäre da nicht der Hinweis: "Im Arsch des Elefanten steckt ein Diamant!" - und ein Behelfssteg aus drei losen Brettern.

Und dann war da gerade keine Aufsichtsperson, und schon taumelten hochseriöse Kunstreporter, ihrer Sorgfaltspflicht nachkommend, zwecks investigativer Darmbespiegelung ungesichert über die gut zwölf Meter Abgrund. Das die gar nicht anders konnten, hat selbst die, gemeinhin als unerschrocken bekannten Künstler der Gruppe "gelatin" in ihrer Fassung erschüttert. Gut, die Ausstellung, zu der sie den viel versprechenden Elefanten gebastelt haben, heißt Auf eigene Gefahr, aber dass die Medien das Motto der versammelten Kunst gleich so ernst nehmen würden, konnte keiner ahnen.

Weniger forsch angenommen wurde Camilla Dahls Aufforderung zum Risiko. Obwohl es dabei nur zu gewinnen gab und keine Aussicht auf Hals- oder Beinbruch der Aussicht auf Genuss trübend im Weg stand. Ihre Champagner Bar blieb weit gehend unaufgesucht. Die Angst, von Dritten dabei beobachtet zu werden, die Bar als technischen Fortsatz einer hingestreckten blonden Mutter anzunehmen und in aller Geborgenheit aus deren Nippeln Champagner zu saugen, scheint doch zu groß. Der Pein, angenehm beduselt in einem Kliniksex-Ambiente aufgegriffen zu werden, wird der Heldentod immer noch vorgezogen - selbst wenn sich der final zu besiegende Gralshüter als riesiger Schließmuskel erweist.

Vorweg behördlich untersagt wurde ein anderes Angebot harmlosen Kunstgenusses. Dabei hat Henrik Plenge Jakobsen bloß zwei Elemente des Alltags unkonventionell miteinander kombiniert. Den meistverkauften deutschen Lustbringer - das Volkswagen-Modell Golf - und Lachgas. Letzteres kommt immer noch Schmerz lindernd bei brachialeren Vorhaben der Zahnheilkunde zum Einsatz, wird aber auch gerne zwecks kurzfristig rabiater Drehzahlsteigerung unter das Benzin-Luft-Gemisch von Verbrennungsmotoren gemischt. So mancher Golfer hat dabei schon seinen letzten Baum gefunden. Und also leitet Jakobsen den lösenden Inhalt der Lachgasflaschen anstatt in den Vergaser in die Fahrgastzelle des - parkenden - Golf. Völlig gefahrlos könnten die Passagiere derart ihrem Hang zur Euphorie frönen. Allein, die Behörden haben die allgemeine Teilhabe an diesem Kunstwerk untersagt. Obwohl, und das ist jetzt kein Tipp, Lachgas in handelsüblichen Patronen zum Aufschäumen von Schlagobers jugendfrei verkäuflich ist.

Den Moment nach der Katastrophe stellt Christoph Büchel vor: Eine ganze Wohnung ist da in die Schirn gebaut, ein Stück Alltag aus dem Leben eines Durchschnittsbürgers. Allein, das grindige Eigenheim stand einer Flut im Weg. Erdreich und Wasser sind eingedrungen, der Besitzer womöglich gerade im nächsten Baumarkt. Derweilen kann der Eindringling sich der beunruhigenden Frage stellen, was sein Heim wohl über ihn an jene Dritte preisgeben würde, die unabsehbare Gewalten anspülen. Also: Immer abwaschen, sonst steht man vor der Feuerwehr plötzlich als verschrobener Junggeselle da. (Markus Mittringer/DER STANDARD, Printausgabe, 12./13.07.2003)


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