Der Wiener
Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny über die Kulturpolitik von
Franz Morak, über mangelnde Dialogbereitschaft und die Resignation
der Künstler.
profil: Herr Kulturstadtrat, haben Sie Kunststaatssekretär
Franz Morak schon zu seiner zweiten Amtszeit
gratuliert? Mailath-Pokorny:
Indirekt. Ich habe ihm über einen Mitarbeiter toi, toi, toi
wünschen lassen, was ich sehr ernst meine, denn man braucht in einem
politischen Job auch das nötige Quäntchen Glück, ebenso wie
Durchsetzungsfähigkeit und Visionen. All das wünsche ich ihm sehr.
Denn was sich zum Thema Kultur im neuen Regierungsprogramm findet,
ist fast bestürzend visionslos, perspektivenlos, auch fantasielos.
Man könnte, wenn man dieses Programm liest, zu der Auffassung
gelangen, dass wir eher in einem Agrar- als in einem Kulturland
leben: Die Ideen und ihre Finanzierungen im Landwirtschaftsbereich
sind um vieles konkreter als jene für die Kultur. Ich bedaure sehr,
dass man offenbar noch immer nicht die Zeit gefunden hat, sich mit
dem Kulturschaffen in Österreich zu befassen.
profil: Glauben Sie
wirklich, das sei eine Zeitfrage? Mailath-Pokorny: Das muss man annehmen. Die Form,
in der das Programm verfasst ist, deutet auf große Eile hin, es sind
auch sprachliche Fehler drin. Und nach wie vor sind einige der
wichtigsten Fragen nicht angesprochen: Die Kulturagenden sind immer
noch zersplittert, es gibt nach wie vor keinen einheitlichen
Ansprechpartner, sondern viele zuständige Personen und Stellen –
einen Staatssekretär, einen Bundeskanzler, ein Außenministerium. Und
es fehlen konkrete Aussagen über Finanzierungen. Wir müssen abseits
aller Parteipolitik und Polemik überlegen, ob Österreich als
Kulturland nicht auch eine Standortfrage ist. Wenn wir nun hören,
dass Wien eine der höchsten Lebensqualitäten aufweist, so hat das
viel mit seiner Kultur zu tun. Ähnliches gilt für ganz Österreich,
es gibt ein ungeheures kreatives Potenzial hier, z. B. im Film. Es
fehlt aber der nächste, entscheidende Schritt, um dieses Land auch
zu einem Medienstandort zu machen. Dazu bedarf es des Dialogs.
profil: Nichts anderes sagt auch Staatssekretär Morak. Er
schwärmt wie Sie von kreativem Potenzial, von Ausbau, Austausch und
Kommunikation. Wo konkret würden Sie anders agieren als
er? Mailath-Pokorny: Das Problem
ist, dass wir alle diese Ziele schon im letzten Regierungsprogramm
hatten, nur wurde eben kaum etwas davon umgesetzt. Und manches ging
überhaupt verloren, wie die „Creative Industries“. Es fehlt offenbar
auch an der nötigen Dialogbereitschaft. Man muss als Politiker
Signale senden, Offenheit zeigen. Ich habe den Eindruck, dass dies
in den letzten zweieinhalb Jahren nicht passiert ist. Offensichtlich
gab es da Berührungsängste, vielleicht auch beidseitig schlechte
Erfahrungen. Gerade in der Kultur darf man aber nicht ängstlich und
zurückhaltend agieren. Eine bestimmte Art von Konflikten ist der
kulturellen Situation in Österreich durchaus förderlich. Aber ich
konstatiere unter Künstlern und Intellektuellen inzwischen einen Zug
von der Frustration hin zur Resignation. Wenn Morak nun sagt, die
großen kulturellen Flaggschiffe müssten durch Förderungen auf Kurs
gehalten werden, so muss man hinzufügen, dass es vor allem die
kleinen beweglichen Beischiffe sind, die dies garantieren. Und die
gilt es in erster Linie zu unterstützen.
profil: Woran denken Sie
da? Mailath-Pokorny: An die vielen
kleinen Kulturinitiativen, die Trends aufgreifen und Vielfalt erst
gewährleisten. Ich bin für eine gute Dotierung der Bundestheater und
der Bundesmuseen, aber zugleich muss man auch Innovativeres
fördern.
profil: Angesichts der gegenwärtigen Budgetsituation kann
das aber nur heißen, dass man, will man die Peripherie stärken, im
Zentrum kürzen muss. Mailath-Pokorny:
Man kann auch einen anderen Weg gehen. Die Stadt Wien etwa
hat in den letzten zwei Jahren ihr Kulturbudget um fast zehn Prozent
erhöht.
profil: Ähnliches nimmt Morak für sein Budget in
Anspruch. Mailath-Pokorny:
Wunderbar, aber da rechnet er auch Kulturbauten und andere
Investitionen hinein. Tatsache ist, dass viele Kulturinstitutionen
weiterhin unter zwölf Prozent Budgetkürzungen zu leiden haben.
Allein in Wien und nur für den Bereich der darstellenden Kunst
belaufen sich die Kürzungen des Bundes auf 15 Millionen Euro. Hier
muss die Stadt laufend ausgleichend einspringen. Es sollte einem
Kulturland wie Österreich möglich sein, ein höheres Kulturbudget
zumindest anzustreben, auch wenn man daran vielleicht in Ehren
scheitert. Wir befinden uns in einem Verteilungskampf, in dem es um
Abfangjäger, Landwirtschaft und auch wichtige soziale Bereiche geht;
hier muss die Kultur das Fähnchen hochhalten.
profil: Sie scheinen als
Kulturstadtrat die Devise der Vervielfachung zu vertreten: noch mehr
Ausstellungsflächen, noch mehr Programmkinos, noch mehr Opernhäuser.
Wie und womit soll das alles bespielt werden? Mailath-Pokorny: Wir versuchen eine differenzierte
Vermehrung des Kulturangebotes herzustellen. Das ist riskant, aber
in der Kulturpolitik will man ja nicht einfach nur Mängel verwalten,
sondern Mängel beseitigen und darüber hinaus Perspektiven für
kommende Jahrzehnte schaffen.
profil:
Alles Bestehende halten und Weiteres
eröffnen zu wollen führt unausweichlich zu budgetärer Ausdünnung für
alle. Kulturpolitik muss dann zwangsläufig auch auf Schließungen
hinauslaufen. Mailath-Pokorny: Man
wird langfristig nicht darum herumkommen, gewisse Betriebe zu
schließen, wenn andere eröffnen. Aber das ist nicht das
Hauptproblem: Man wird sich vielmehr viel überzeugender für eine
Erhöhung der Mittel engagieren müssen.
profil: Sie kritisieren
den Mangel an Visionen im Regierungsprogramm. Können Sie Ihre eigene
Vision beschreiben? Mailath-Pokorny:
Zu meiner Vision gehört die Schaffung von
Gegenöffentlichkeit. Wer Subventionen vergibt, will Dinge
ermöglichen, die es über den Markt allein nicht gibt.
profil: Warum wird dann
zum Beispiel das Theater an der Wien gefördert? Mailath-Pokorny: Ich bemühe mich da, ein
Musiktheater ins Leben zu rufen, in dem auch qualitative ernste
Musik gespielt wird. Auch an der Josefstadt habe ich versucht,
jemanden zu finden, der dort etwas leistet, das ohne den Einsatz von
Fördermitteln an diesem Ort nicht stattfinden würde.
profil: Sie planen eine
große Kulturzone am Karlsplatz: Soll damit den Betreibern des
Museumsquartiers gezeigt werden, wie man es richtig
macht? Mailath-Pokorny: Das wäre
vermessen angesichts der Beiträge der Stadt Wien zum
Museumsquartier. Wir zahlen dort immerhin 15 Millionen Euro jährlich
allein an Programmzuschüssen.
profil:
Sind Sie denn glücklich über die
Entwicklung des Museumsquartiers? Mailath-Pokorny: Mit der Entwicklung der
Institutionen dort bin ich größtenteils sehr glücklich. Es ist nur
noch nicht gelungen, den Platz als solchen wirklich zu beleben. Und
leider ist es der Geschäftsführung auch noch nicht gelungen, mit den
einzelnen Nutzern zu einem halbwegs gedeihlichen Einvernehmen zu
kommen. Da ist noch viel zu tun, auch was die Vermarktung eines
solchen Kulturkomplexes betrifft.
profil: Mit dem
Filmfestival Diagonale und dem Theorieforum Depot stehen derzeit
wieder zwei verdienstvolle Institutionen vor dem Aus. Lässt die
Bundesregierung Ihrer Meinung nach politisierte, unbequeme
Initiativen ins Leere laufen? Mailath-Pokorny: Das ist rein faktisch nicht
abzustreiten. Aber man muss sich auch damit abfinden: Diese
Regierung, die während der ersten Jahre von vielen für eine Art
Betriebsunfall gehalten wurde, kann sich nun auf ein Wahlergebnis
stützen, das eine andere Sprache spricht. Vielleicht ist die Zeit
der Berührungsängste ja nun vorbei, vielleicht kann man jetzt damit
beginnen, wirklich offen zu diskutieren. Das hielte ich für
spannend. Aber es muss eine Zusammenarbeit geben, trotz aller
politischen Kritik. Von Versteckspielen halte ich nichts.