Artikel aus profil Nr. 11/2003
„Visionslos und fantasielos!“

Der Wiener Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny über die Kulturpolitik von Franz Morak, über mangelnde Dialogbereitschaft und die Resignation der Künstler.
profil: Herr Kulturstadtrat, haben Sie Kunststaatssekretär Franz Morak schon zu seiner zweiten Amtszeit gratuliert?
Mailath-Pokorny: Indirekt. Ich habe ihm über einen Mitarbeiter toi, toi, toi wünschen lassen, was ich sehr ernst meine, denn man braucht in einem politischen Job auch das nötige Quäntchen Glück, ebenso wie Durchsetzungsfähigkeit und Visionen. All das wünsche ich ihm sehr. Denn was sich zum Thema Kultur im neuen Regierungsprogramm findet, ist fast bestürzend visionslos, perspektivenlos, auch fantasielos. Man könnte, wenn man dieses Programm liest, zu der Auffassung gelangen, dass wir eher in einem Agrar- als in einem Kulturland leben: Die Ideen und ihre Finanzierungen im Landwirtschaftsbereich sind um vieles konkreter als jene für die Kultur. Ich bedaure sehr, dass man offenbar noch immer nicht die Zeit gefunden hat, sich mit dem Kulturschaffen in Österreich zu befassen.

profil: Glauben Sie wirklich, das sei eine Zeitfrage?
Mailath-Pokorny: Das muss man annehmen. Die Form, in der das Programm verfasst ist, deutet auf große Eile hin, es sind auch sprachliche Fehler drin. Und nach wie vor sind einige der wichtigsten Fragen nicht angesprochen: Die Kulturagenden sind immer noch zersplittert, es gibt nach wie vor keinen einheitlichen Ansprechpartner, sondern viele zuständige Personen und Stellen – einen Staatssekretär, einen Bundeskanzler, ein Außenministerium. Und es fehlen konkrete Aussagen über Finanzierungen. Wir müssen abseits aller Parteipolitik und Polemik überlegen, ob Österreich als Kulturland nicht auch eine Standortfrage ist. Wenn wir nun hören, dass Wien eine der höchsten Lebensqualitäten aufweist, so hat das viel mit seiner Kultur zu tun. Ähnliches gilt für ganz Österreich, es gibt ein ungeheures kreatives Potenzial hier, z. B. im Film. Es fehlt aber der nächste, entscheidende Schritt, um dieses Land auch zu einem Medienstandort zu machen. Dazu bedarf es des Dialogs.

profil: Nichts anderes sagt auch Staatssekretär Morak. Er schwärmt wie Sie von kreativem Potenzial, von Ausbau, Austausch und Kommunikation. Wo konkret würden Sie anders agieren als er?
Mailath-Pokorny: Das Problem ist, dass wir alle diese Ziele schon im letzten Regierungsprogramm hatten, nur wurde eben kaum etwas davon umgesetzt. Und manches ging überhaupt verloren, wie die „Creative Industries“. Es fehlt offenbar auch an der nötigen Dialogbereitschaft. Man muss als Politiker Signale senden, Offenheit zeigen. Ich habe den Eindruck, dass dies in den letzten zweieinhalb Jahren nicht passiert ist. Offensichtlich gab es da Berührungsängste, vielleicht auch beidseitig schlechte Erfahrungen. Gerade in der Kultur darf man aber nicht ängstlich und zurückhaltend agieren. Eine bestimmte Art von Konflikten ist der kulturellen Situation in Österreich durchaus förderlich. Aber ich konstatiere unter Künstlern und Intellektuellen inzwischen einen Zug von der Frustration hin zur Resignation. Wenn Morak nun sagt, die großen kulturellen Flaggschiffe müssten durch Förderungen auf Kurs gehalten werden, so muss man hinzufügen, dass es vor allem die kleinen beweglichen Beischiffe sind, die dies garantieren. Und die gilt es in erster Linie zu unterstützen.

profil: Woran denken Sie da?
Mailath-Pokorny: An die vielen kleinen Kulturinitiativen, die Trends aufgreifen und Vielfalt erst gewährleisten. Ich bin für eine gute Dotierung der Bundestheater und der Bundesmuseen, aber zugleich muss man auch Innovativeres fördern.

profil: Angesichts der gegenwärtigen Budgetsituation kann das aber nur heißen, dass man, will man die Peripherie stärken, im Zentrum kürzen muss.
Mailath-Pokorny: Man kann auch einen anderen Weg gehen. Die Stadt Wien etwa hat in den letzten zwei Jahren ihr Kulturbudget um fast zehn Prozent erhöht.

profil: Ähnliches nimmt Morak für sein Budget in Anspruch.
Mailath-Pokorny: Wunderbar, aber da rechnet er auch Kulturbauten und andere Investitionen hinein. Tatsache ist, dass viele Kulturinstitutionen weiterhin unter zwölf Prozent Budgetkürzungen zu leiden haben. Allein in Wien und nur für den Bereich der darstellenden Kunst belaufen sich die Kürzungen des Bundes auf 15 Millionen Euro. Hier muss die Stadt laufend ausgleichend einspringen. Es sollte einem Kulturland wie Österreich möglich sein, ein höheres Kulturbudget zumindest anzustreben, auch wenn man daran vielleicht in Ehren scheitert. Wir befinden uns in einem Verteilungskampf, in dem es um Abfangjäger, Landwirtschaft und auch wichtige soziale Bereiche geht; hier muss die Kultur das Fähnchen hochhalten.

profil: Sie scheinen als Kulturstadtrat die Devise der Vervielfachung zu vertreten: noch mehr Ausstellungsflächen, noch mehr Programmkinos, noch mehr Opernhäuser. Wie und womit soll das alles bespielt werden?
Mailath-Pokorny: Wir versuchen eine differenzierte Vermehrung des Kulturangebotes herzustellen. Das ist riskant, aber in der Kulturpolitik will man ja nicht einfach nur Mängel verwalten, sondern Mängel beseitigen und darüber hinaus Perspektiven für kommende Jahrzehnte schaffen.

profil: Alles Bestehende halten und Weiteres eröffnen zu wollen führt unausweichlich zu budgetärer Ausdünnung für alle. Kulturpolitik muss dann zwangsläufig auch auf Schließungen hinauslaufen.
Mailath-Pokorny: Man wird langfristig nicht darum herumkommen, gewisse Betriebe zu schließen, wenn andere eröffnen. Aber das ist nicht das Hauptproblem: Man wird sich vielmehr viel überzeugender für eine Erhöhung der Mittel engagieren müssen.

profil: Sie kritisieren den Mangel an Visionen im Regierungsprogramm. Können Sie Ihre eigene Vision beschreiben?
Mailath-Pokorny: Zu meiner Vision gehört die Schaffung von Gegenöffentlichkeit. Wer Subventionen vergibt, will Dinge ermöglichen, die es über den Markt allein nicht gibt.

profil: Warum wird dann zum Beispiel das Theater an der Wien gefördert?
Mailath-Pokorny: Ich bemühe mich da, ein Musiktheater ins Leben zu rufen, in dem auch qualitative ernste Musik gespielt wird. Auch an der Josefstadt habe ich versucht, jemanden zu finden, der dort etwas leistet, das ohne den Einsatz von Fördermitteln an diesem Ort nicht stattfinden würde.

profil: Sie planen eine große Kulturzone am Karlsplatz: Soll damit den Betreibern des Museumsquartiers gezeigt werden, wie man es richtig macht?
Mailath-Pokorny: Das wäre vermessen angesichts der Beiträge der Stadt Wien zum Museumsquartier. Wir zahlen dort immerhin 15 Millionen Euro jährlich allein an Programmzuschüssen.

profil: Sind Sie denn glücklich über die Entwicklung des Museumsquartiers?
Mailath-Pokorny: Mit der Entwicklung der Institutionen dort bin ich größtenteils sehr glücklich. Es ist nur noch nicht gelungen, den Platz als solchen wirklich zu beleben. Und leider ist es der Geschäftsführung auch noch nicht gelungen, mit den einzelnen Nutzern zu einem halbwegs gedeihlichen Einvernehmen zu kommen. Da ist noch viel zu tun, auch was die Vermarktung eines solchen Kulturkomplexes betrifft.

profil: Mit dem Filmfestival Diagonale und dem Theorieforum Depot stehen derzeit wieder zwei verdienstvolle Institutionen vor dem Aus. Lässt die Bundesregierung Ihrer Meinung nach politisierte, unbequeme Initiativen ins Leere laufen?
Mailath-Pokorny: Das ist rein faktisch nicht abzustreiten. Aber man muss sich auch damit abfinden: Diese Regierung, die während der ersten Jahre von vielen für eine Art Betriebsunfall gehalten wurde, kann sich nun auf ein Wahlergebnis stützen, das eine andere Sprache spricht. Vielleicht ist die Zeit der Berührungsängste ja nun vorbei, vielleicht kann man jetzt damit beginnen, wirklich offen zu diskutieren. Das hielte ich für spannend. Aber es muss eine Zusammenarbeit geben, trotz aller politischen Kritik. Von Versteckspielen halte ich nichts.

Interview: Sven Gächter, Stefan Grissemann

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