diepresse.com
zurück | drucken
28.06.2002 - Ausstellung
Wenn Clowns schlafen, tickt die Zeit anders
Ugo Rondinone in der Wiener Kunsthalle: ein magischer Ort, an dem die Zeit zu verstummen scheint.
VON ALMUTH SPIEGLER


Es geht ganz schnell. Schon nach wenigen Bewegungen und Blicken werden die Schritte zögerlich, vorsichtig tastend. Sachte - die Wächter wollen nicht geweckt werden. Traumschwer liegen drei dickbäuchige Clowns am Boden der Wiener Kunsthalle. Archaisch eingemummt in Fell, Federn, Jutestoff. Wie nach einer weiten Wanderung von schwerem Schlaf übermannt.

An der Wand über ihnen eine optische Täuschung: Wie ein Strudel fesseln gesprayte Farbkreise den Blick. Wozu das Bauchkribbeln? Dahinter ist nur Mauerwerk - und doch ist der Blick in den Sog eine Art Initiationsritual, das zum Eintritt in die wundersamen Welten des Schweizers Ugo Rondinone berechtigt. Mit dieser Schau kehrt der in New York lebende, auf kein Medium festzulegende Künstler nach Wien, den Ort seiner Studienzeit, zurück.

Doch an welchem Ort wir uns hier in der Kunsthalle befinden, ist nicht klar. Weiße Vorhänge in den Ecken des ersten Raumes lassen zwei Durchgänge erahnen. Welchen soll man wählen? Läßt man sich von sirenenhaftem Gesang nach vorne locken - oder schwenkt man nach rechts, wo man Wortfetzen erlauscht?

Gesang im Labyrinth

Ein zögernder Blick auf die Clowns - doch sie können nicht warnen, nicht raten. Die Zeit tickt hier nicht wie gewohnt, sie ist seltsam stumm. In den "Sonderzonen für andere Zustände und Befindlichkeiten", wie Rondinone seine Räume nüchtern nennt, läuft sie anders. Langsam, träge, wie von Watte gedämpft. Die Wahrnehmung ändert sich, man ist auf der Hut.

Die Flucht nach vorne: Vorsichtig schiebt man den Stoff auf die Seite, hinter dem der Gesang ertönt. Den anschließenden Raum füllt eine schillernde Konstruktion. Verspiegelte Säulen und Balken fügen sich zu einer labyrinthischen Landschaft. In ihr reflektieren sich sechs Videokästen an den Wänden, die eine eine endlose Zugreise ohne Weiterkommen zeigen. Aus den Säulen schallt eine reizvolle Melodie. Als wenn das hohle Gerüst ein Leben birgt, ein wunderschönes Wesen, gefangen hinter glänzenden Spiegeln. Der von Beckett inspirierte rätselhafte Titel der extra für Wien entstandenen Klanginstallation, "No how on", gibt auch der Einzelausstellung den Namen.

Wieder an den Clowns vorbei in den dritten Raum. Ohne Schuhe tritt man auf das Wellenmuster des glatten Bodens. Die Knie sind weich. Durch Lautsprecher im Boden dringt ein Gespräch um Sex und Verletzungen, es dreht sich im Kreis, nichts geht weiter. Selbst merkt man sich bald ebenso gefangen: In welches Eck man auch weicht, nie entkommt man dem sich auf dem Boden spiegelnden Lichtrahmen der Deckenbeleuchtung.

Drei räumliche Phantasien schließen sich in dieser Personale zu einem Gesamterlebnis, ermöglichen Zustände, die einem die Kunst heute so selten gewährt: das Ausschalten des Intellekts, das Mutieren zu einem puren Sensor für Empfindungen. Vor allem wecken sie ein abgestumpftes Verlangen: die Neugierde. Wehmütig kehrt man zu den Clowns zurück. Sie bleiben hier, an einem Ort, nach dem man sich noch lange zurücksehnen wird. Denn draußen tickt sie wieder, die Zeit, und das Leben ist grell.

Bis 22. September, tägl. 10 bis 19 Uhr, Do. 10 bis 22 Uhr.



© Die Presse | Wien