Der Nonkonformist

Erst verfemt und dann in höchsten Ehren gehalten - das Schicksal, das schon so berühmte Künstlerkollegen wie Oskar Kokoschka vor ihm erfuhren, hat auch Günter Brus ereilt.


Günter Brus, der einst "meistgehasste Österreicher", von Justiz wie Boulevardmedien gleichermaßen geächtet und verfolgt, wurde 1997 mit dem großen österreichischen Staatspreis ausgezeichnet. Die heimische Anerkennung kam zu einem Zeitpunkt, als er international längst zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart zählte. Letztlich also eine Versöhnung mit Staat und Gesellschaft?

Die Ruhe des Älterwerdens

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Es ist in jedem Fall ruhiger geworden um den radikalen Agent provocateur der aktionistischen 60er Jahre. Provozieren kann Brus aber noch heute: Mit den zeichnerisch-dichterischen Werken, auf die sich seit nun schon 30 Jahren sein Schaffen konzentriert, fordert Brus die Betrachter immer wieder aufs Neue heraus, konventionelle Wahrnehmungsmuster zu hinterfragen.

Die kritische Grundeinstellung des Günter Brus, die sich am eklatantesten in seinen frühen "Körperaktionen" äußerte, entstand schon früh und ist vor allem auch als Abwehrreaktion auf die gesellschaftliche Situation der Nachkriegszeit zu verstehen.

Unangepasstheit als Prinzip

Geboren wird er 1938, im Jahr des "Anschlusses", im steirischen Ardning. Nach Besuch der Kunstgewerbeschule in Graz geht er mittellos nach Wien, wo er sich mit Gelegenheitsarbeiten durchschlägt und an der Hochschule für Angewandte Kunst sowie der Akademie der Bildenden Künste studiert, beide wegen Anpassungsschwierigkeiten allerdings bald wieder verlässt. Der Militärdienst und die dort erlebte Obrigkeitshörigkeit bestärken seine Widerstandshaltung gegenüber der Gesellschaft ("Alle Ungereimtheiten kann man begreifen, nur nicht den GLEICHSCHRITT"), die er vor allem in ihrem Kunst- und Kulturverständnis als bedrückend und repressiv erlebt. Seine Malerei steht zu dieser Zeit dem Informel nahe. Unzufrieden mit dem Bestehenden sucht er nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen.

Grenzen aufbrechen

Was sich mit Tachismus und Action Painting angebahnt hat, treibt Brus konsequent weiter. Mit körperlichem Einsatz schreitet er dazu, die Malerei aus dem zweidimensionalen Gefängnis der Bildfläche zu befreien und in die Wirklichkeit eintreten zu lassen. Im Zuge von Selbstbemalungen wird der eigene Leib zum Gegenstand künstlerischen Ausdrucks. 1964 findet seine erste Aktion "Ana" in Wien statt.

1965 spaziert er durch die Wiener Innenstadt - von Kopf bis Fuß weiß bemalt mit einem schwarzen Strich längs durch die Mitte, und wird wegen Störung der öffentlichen Ordnung verhaftet. Immer mehr werden aus den Selbstbemalungen auch Selbstverstümmelungen: Im Dienste künstlerischer Authentizität wird Brus zum Schmerzensmann, der sich selbst einschnürt und mit Rasierklingen blutige Schnitte zufügt. Brus praktiziert extreme Körperkunst - und geht gemeinsam mit seinen Künstlerfreunden Otto Mühl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler als Begründer des Wiener Aktionismus in die Kunstgeschichte ein.

Ins Exil

1968 kommt es zum öffentlichen Eklat: Unter dem Titel "Kunst und Revolution" findet auf der Wiener Universität eine Gemeinschaftsaktion statt, die in der Folge in den Medien zur "Uni-Ferkelei" skandalisiert wird. Brus, der u.a. onanierend die Bundeshymne gesungen hat, wird wegen "Herabwürdigung österreichischer Symbole" und "Verletzung der Sittlichkeit und Schamhaftigkeit" zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt, der er sich durch Flucht nach Westberlin entzieht, wo er mit Oswald Wiener und Gerhard Rühm eine "Österreichische Exilregierung" gründet.

Erst nach 10 Jahren kehrt Brus nach Österreich zurück, nachdem seine Frau Anna bei Bundespräsident Kirchschläger eine Umwandlung der Haftstrafe in eine Geldstrafe bewirkt hat. Nach einer letzten "Zerreißprobe" 1970 in München hat sich Brus inzwischen vom Aktionismus abgewendet und arbeitet nun hauptsächlich an seinen Bild-Dichtungen, die sich durch eine eigentümliche Synthese von Bild und Text auszeichnen.

Internationale Anerkennung

Zahlreiche Ausstellungen, darunter zweimal die Documenta in Kassel, die Biennale von Venedig, eine große Retrospektive im Centre Pompidou sowie Ausstellungen in New York zeugen vom internationalen Ruhm des künstlerischen Einzelgängers Brus, dessen Werke auf dem Kunstmarkt mittlerweile Spitzenpreise erzielen. Weniger bekannt als seine Bild-Dichtungen, aber von Kennern hochgeschätzt ist auch das rein literarische Werk. Zu diesem zählen u.a. der märchenhafte Roman "Die Geheimnisträger" (1984), die Sammlung skurriler Kürzestgeschichten "Amor und Amok" (1987) und der monumentale Band "Morgen des Gehirns, Mittag des Mundes, Abend der Sprache" (1993), herausgegeben von seinem ehemals treuen Freund und Exegeten Arnulf Meifert.

Streit um das literarische Werk

Meiferts Verlagsname "Das hohe Gebrechen" hat heute buchstäbliche Aktualität gewonnen: Brus prozessiert seit Jahren um die eigenen gesammelten Schriften, die sich im Besitz von Arnulf Meifert befinden. Auf deren Veröffentlichung ist jedenfalls zu hoffen, denn auch in der Literatur von Brus offenbart sich immer wieder der schier unerschöpfliche Empfindungs- und Erfindungsreichtum des Künstlers, sein abgründiger Humor ebenso wie seine Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der menschlichen Existenz.

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