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23.10.2003 17:49

Ich wär' so gern Elektrogitarrist
Was die praktische Idee, eine Gitarre elektrisch zu verstärken, aus den Menschen gemacht hat, verrät die Kunsthalle Wien - Foto

Wien – Thomas Mießgang hat Gitarren genauso gerne wie Gerald Matt den Heiligen Sebastian. Beides typische Bubenhobbys, beides schlägt sich im Programm der Kunsthalle Wien nieder: Go Johnny Go! und A Splendid Readiness For Death. Sebastians Leiden werden uns erst ab der kommenden Novembermitte sublim wärmen, die E-Gitarre heizt schon jetzt ein.

Beleuchtet werden beide Ekstasekatalysatoren aus dem Blickwinkel zeitgenössischer Künstler. Für den Fall Gitarre hat Mießgang einen anderen Besessenen, Wolfgang Kos, eingeladen, ihn zu stützen, dem Brett mit den sechs Saiten auch wirklich alle Aspekte abzugewinnen, von Bamako bis zum Gitarrengott Vorarlbergs, von der Designgeschichte bis zu Bo Diddley, von T-Bone Walker den breiten Weg hin zu Heimo Zobernig.

Und auch die heikle Frage, ob Frauen jetzt zur Elektrischen greifen sollen oder doch lieber weiter an der Harfe zupfen, bleibt nicht ungestellt. Schon am Plakat: Nicht Jimi Hendrix verwendet da elektrisch verstärkte Zahnseide, Pete Townshend macht kein Gerät kaputt, und erigierte Verstärkertürme gibt es auch keine.

Stattdessen gibt es Norma- Jean Wofford, besser unbekannt als "The Duchess", als Deko-Element in der Band von Bo Diddley. Das sie oder andere wie Peggy Jones oder Bonnie Buckingham wirklich spielen würden, hat kaum einer angenommen. Britta Neander, Schlagzeugerin der Berliner Vier-Frauen-Band Carambolage, erinnert sich diesbezüglich an einen Auftritt in den 80ern, nach dem ein entgeisterter Veranstalter mit "Ihr habt gespielt, als ob ihr Eier hättet!" gratulierte.

Gute Rockmusik ganz ohne Schwanz zu machen hat jedenfalls ein Manager von Sony Music 1995 ganz offiziell im Reich des Unvorstellbaren angesiedelt. Dabei hatten und haben doch auch Frauen Spaß am Lärm, etwa die Riot Grrlssic! von L7. Zu Heldenruhm wie Jimmy Page hat's aber keine gebracht.

Darum geht's aber! Und da packt die bildenden Künstler dann immer der blanke Neid. Die sitzen tagein, tagaus in ihren Ateliers herum, und wenn dann so ein Bild endlich fertig ist, applaudiert wieder keiner, keine Groupies befreien anerkennend ihre Twins, keine Massen schreien sich die Seelen aus den schweißgetränkten Leibern.

Rodney Graham, einen ganz arriviert Bildenden, hat dieser Mangel so weit gebracht, trotzig CDs aufzunehmen. Künstler sonder Zahl träumen heimlich von wildem Action-Painting im Stadion oder dilettieren halböffentlich an ihrer Fender. Kalt lassen die Strings am Brett kaum einen.

Was außer einer Gitarre löst schon solche Assoziationsketten aus: Auch noch so abstrahiert ins Bild gebracht, riecht alles ringsum sofort nach wildem Sex und offener Revolte, nach Ruhm und Rausch.

Und jetzt das Ärgste: Selbst ein leeres Stage-Set wird noch angehimmelt. In der Kunsthalle gerade eines von Sonic Youth. Das ist ein Haufen (erst in der Kunsthalle, unabhängig von einem Auftritt) kaputt gemachter Instrumente, Verstärker und sonstiger Requisiten, hat keinerlei Mehrwert und wird dennoch als unglaublich geil empfunden. (DER STANDARD, Printausgabe, 24.10.2003)


Von
Markus Mittringer

Service

"Go Johnny Go!"
Kunsthalle Wien.
Eröffnung: 23. Oktober,
vom 24. Oktober bis 7. März 2004 täglich von 10 bis 19 Uhr, Donnerstag 10 bis 22 Uhr

Link

KUNSTHALLEwien.at

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