Landluft macht nicht nur frei

13. August 2009 | 07:02 | Salzburg | Robert Innerhofer
Luft zum Atmen, Raum zum Denken, Zeit zum Fühlen, davon gibt es auf dem Land reichlich. Aber eben auch: menschliche Abgründe, Reibungsflächen, gesellschaftliche Zwänge. Wie auf dem Land lebende Künstler mit alldem umgehen, zeigen drei Beispiele aus den Salzburger Gebirgsgauen.
Robert Innerhofer
(SN, Robert Innerhofer). Seit jeher zieht es Kreative aufs Land, um dort Ruhe und Inspiration zu finden. Der amerikanische Rock-Superstar Neil Young beispielsweise lebt bereits seit den frühen Siebzigerjahren auf seiner „Broken Arrow“-Ranch im Norden Kaliforniens, ein Umstand, der seine Musik in vielerlei Hinsicht geprägt hat und wohl auch das Fundament einer kämpferischen Öko-Lyrik ist. Große Maler wie Paul Cézanne oder Pablo Picasso, aber auch ganze Künstlergruppen trieb es hinaus in die Landschaft, um an ihr Formen und Farben zu studieren und sie in ihre eigene künstlerische Sprache zu übersetzen. Das natürliche Licht, das sich ungleich stärker entfalten kann als in Städten, ist dabei wichtigster Impulsgeber.

Andere wiederum müssen sich aus ihrer Provinz befreien, thematisch aber bleiben sie stets mit ihr verbunden – in Österreich waren es nicht zuletzt Schriftsteller, die diesen Weg nahmen: Von humanistischen Erzählungen aus der behüteten steirischen „Waldheimat“ eines Peter Rosegger bis zu den sensiblen, aufwühlenden Beschreibungen eines Franz Innerhofer.

Auch im Salzburger Land gibt es heute Künstler, deren kreativer Quell sich aus der ländlichen Umgebung ihrer Heimat speist – und die dort nach wie vor leben.


Fritz Messner: Lungau
Der Kopf der vielseitigen „Querschläger“ pflegt mit seiner Band seit rund 20 Jahren einen aufmerksamen, häufig ironischen Blick auf seine Heimat. Der Musiker betont allerdings, dass die Themen und Handlungen seiner Lieder zwar auf dem Land angesiedelt sind, die Probleme, die sie widerspiegeln, aber meist Allgemeingültigkeit besitzen. „Heute ist alles so vernetzt, dass niemand mehr sagen kann: Ich lebe jetzt hier, und deshalb geht mich das anderswo nichts an. Man kann lokal handeln, aber denken muss man global.“ Theoretisch könnte sich der Künstler vorstellen, seine Texte und Lieder auch in der Stadt zu formulieren, authentisch wären sie dann nicht.

Messner zieht es von Zeit zu Zeit hinaus in die Welt, den Lungau aber begreift er als eine Art Basiscamp. „Meine Lieder entstehen oft bei Spaziergängen durch den Wald, da kann man sich vieles überlegen. Wenn ich mich dann hinsetze und schreibe, ist das der Endpunkt eines langen Prozesses.“ Auf dem Land zu leben, kann Naturmetaphern entstehen lassen, anders als in irgendeiner Betonwüste im 24. Stock.

Den Umgang der „Querschläger“ mit Tradition bezeichnet Fritz Messner so: „Traditionen haben nur einen Sinn, wenn sie mit der Gegenwart verknüpft werden – und immer weiter wachsen und hinterfragt werden. Andernfalls bleiben nur starre Rituale, die keinen Sinn mehr haben.“

Auf dem Land Künstler zu sein bedeute auch, eine viel direktere Reaktion von den Menschen zu erhalten. „In der Stadt leben viele Künstler in ihrem kleinen Elfenbeintürmchen und bekommen wenig Reak tion direkt von den Leuten. Das ist auf dem Land im positiven Sinne schöner – und im negativen kann es auch brutaler sein.“


Gerald Neuschmid: Pinzgau
Der innovative Mittersiller war bis vor fünf Jahren als selbstständiger Maschinenbautechniker tätig, ehe er begann, den ihm vertrauten Werkstoff Metall auf künstlerische Art und Weise zu bearbeiten. Die (ländliche) Gesellschaft mit ihren Unterschieden ist dabei für ihn wichtigste Inspirationsquelle.

Gerald Neuschmid weist darauf hin, dass es in seiner Region nur wenige bildende Künstler gibt, die den Schritt in die Öffentlichkeit wagen. Vielfach mangelt es an der Akzeptanz der unmittelbaren Umgebung: „Sagen wir es so: In deiner Heimatgemeinde wird’s eher nichts werden. Viele Leute kennen einen von Kindheit an und fragen sich dann: Was, der will jetzt Kunst machen?“

In anderen Pinzgauer Gemeinden aber stellt sich für Neuschmid dieses Problem nicht. So präsentiert er gerade neben der Asitzbahn in Leogang im Rahmen eines fixen Kunstweges zum Thema Wachstum einige seiner Metallskulpturen. Die Frage, ob er beabsichtigt, mit seiner Kunst Kontraste zum Landleben herzustellen, beantwortet Gerald Neuschmid so: „Auf jeden Fall, allein schon durch mein Material. Bei uns ist jedes Hotel mit Holz zugebaut. Da brauch ich bloß irgendwo ein Niro-Rohr reinstecken und schon empfinden das manche als provozierend.“

In Leogang spielt der Künstler auch mit Blickachsen, die wohl nach und nach durch die fortschreitende touristische Bebauung verschwinden.

Woanders als im Oberpinzgau zu leben, könnte sich der Mittfünfziger gut vorstellen – allerdings nicht in einer Stadt. Sanftere Landschaften wie die Toskana oder, in Österreich, das Burgenland fallen ihm ein. „Im Pinzgau hat man im übertragenen Sinne nämlich auch das große Handicap, dass man über die Berge nicht hinaussieht.“


O. P. Zier: Pongau
Das Salzburger Land mit seinen politischen Verfilzungen und im Speziellen das Leben im Pongauer Raum liefern seit Jahrzehnten die Ideen für die Geschichten des Autors. O. P. Zier meint aber, dass es in der Provinz nicht viel anders ablaufe als in den Metropolen. „Nur, in der Provinz verschärft sich vieles. Verschiedene Merkmale, die es in der Stadt gibt, sind in der Provinz noch stärker erkennbar. Small ist auf keinen Fall beautiful, das Hässliche ist nur leichter überschaubar.“

Auf dem Land hält den Schriftsteller in erster Linie die Familie – und im Winter die Möglichkeit, Langlauf zu betreiben. Zur Gebirgslandschaft hat Zier aber ein ambivalentes Verhältnis: „Es ist eine mit Mühseligkeit verbundene Landschaftsform, bei uns geht’s überall bergauf – die Gebirgslandschaft ist eine immerwiederkehrende Herausforderung.“

Im Sommer zieht sich O. P. Zier zum Schreiben in ein altes, abgelegenes Bergbauernhaus nach Eschenau zurück, dort findet er die nötige Ruhe. Dabei betont der Autor, dass sich das kleine Örtchen infrastrukturell in Auflösung befindet. „Es gibt kaum ein Geschäft, es gibt nichts mehr, aber einige wenige Touristen, soweit ich weiß.“

Besonders zuwider ist dem Schriftsteller die massenmediale und volkstümliche Darstellung von Provinz, in der die Gebirgsregion zu einer reinen Kulisse verkommt. „Das entstellt die Sicht auf das Leben. Wir haben auf dem Land eine sehr hohe Selbstmordrate, immer schon gehabt. Oder die politische Korruption, genau gleich wie in Städten – vielleicht sogar ärger, weil dieser kleinteilige Raum noch viel mehr ermöglicht.“

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