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Kunstberichte

Löcher im Text der Welt

MAK zeigt bis September literarische Projektionen von Jenny Holzer
Illustration
- Flüchtige Gäste an der Fassade der Nationalbibliothek: Worte von Wislawa Szymborska.  Foto: Charles Passarelli

Flüchtige Gäste an der Fassade der Nationalbibliothek: Worte von Wislawa Szymborska. Foto: Charles Passarelli

Von Brigitte Borchhardt-Birbaumer

Erstmals taucht Jenny Holzer einen Innenraum in eine Flut von Worten. Durch die gegenläufige Projektion in der Ausstellungshalle des MAK zieht es den Eintretenden vorerst den Boden unter den Füßen weg. Auf silbernen Sitzkissen sitzend, kann die anfangs als Tiefensog wahrgenommene Arbeit langsam in einen sprechenden Denk raum gewandelt werden.

In den Siebzigern und Achtzigern hatte die 1950 in Ohio geborene Holzer mit ihren feministischen und der Aufklärung verpflichteten Statements auf gesellschaftliche Missverhältnisse hingewiesen. Sie agierte politisch, wies auf Krisenherde hin – auch mit Hilfe digitaler Laufbänder und laufender Lichtprojektion. Bänke, Plakate, T-Shirts wurden in die Installationen einbezogen. Eine radikale Serie der frühen Zeit bestand aus fotografierten Bodysigns: Texte über Torturen an Frauen wurden in die Haut geritzt. Sprache, die von allen Machthabern der Welt, aber auch von der Werbung benützt wird, dient der Künstlerin als Kunstmittel.

Werke zum Verweilen

Da elektronische Laufbänder und Schriftblöcke aus Licht nichts Künstlerisches vermitteln, steht die ethische über der ästhetischen Wirkung. Nun hat sie für das Innere des MAK und die Fassaden einiger Bauten in Wien Schriften der Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek gewählt. Davor hat Jenny Holzer unter anderem Gedichte der polnischen Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska, von Adam Zagajewski und vom israelischen Autor Yehuda Amichai verwendet.

Die Klarheit der Botschaft, die für Passanten sofort begreifbar war, hat ab 1993 zugunsten der ästhetischen Komponente zusehends abgenommen. Erst im Verweilen erschließen sich Textfragmente, das gilt auch für jene von Wissenschaftlerinnen wie Mohja Kahf oder Dana Goodyear. Aus dem Werk Elfriede Jelineks hat sie "Die Liebhaberinnen" (1975) und "Die Ausgesperrten" (1980) gewählt und sich damit für die Themen falsche Glücksvorstellung und Spielarten kleinbürgerlichen Verhaltens entschieden.

Eine weitere Projektion in der Ausstellungshalle fasst drei Projekte im öffentlichen Raum zusammen, zwei davon in New York, eines in Wien, wobei Rathaus, Staatsoper, Parlament, Nationalbibliothek und Präsidentschaftskanzlei mit gesampelten Worten "belichtet" wurden. Bis 24. Mai wird jeweils ab 20.30 Uhr auch eine Projektion am neuen Tower des Wiener Flughafens gezeigt.

Interessant ist die stille Wirkung – oder gibt es eine Gewöhnung an die Xenon-Lampen-Projektionen, die seit 1990 auch in Städten wie Venedig zum Einsatz kamen? Das Duett Holzer-Jelinek ist jedenfalls kein Schock, sondern eine Verführung im musealen Raum.

MAK Ausstellungshalle

bis 17. September

Verführerisch.

Mittwoch, 17. Mai 2006


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