Salzburger Nachrichten am 10. Juni 2005 - Bereich: kultur
Berg-Werk am Meer

"Das letzte Land": Der von Hans Schabus gestaltete österreichische Beitrag zur Biennale von Venedig besticht durch Originalität und Verweigerungshaltung.

MARTIN BEHR berichtet aus Venedig Elsa und Hans, seine Großeltern, haben ihre Hochzeitsreise nach Venedig unternommen. Im März 1932: Tauben füttern auf dem Markusplatz, in etwas gestelzter Haltung posieren und sich dabei fotografieren lassen. 73 Jahre später wird der Enkelsohn Hans in Venedig fotografiert. Von der internationalen Presse. Nicht auf dem Markusplatz, sondern vor dem österreichischen Pavillon, der eigentlich gar nicht mehr sichtbar ist. Hans Schabus hat einen Berg in die Lagunenstadt versetzt. Es ist ein Als-ob-Gebirge, bestehend aus Unmengen von "Bauware Fichte" und besandeter Dachpappe. "Ich habe dem Pavillon einen ordentlichen Riegel vorgeschoben", sagt der Künstler.

Die Erhebung erinnere aus einem bestimmten Blickwinkel an das Matterhorn, erklären Schweizer Journalisten. Dies sei eine Miniaturausgabe des "K2", befinden andere Besucher. Tatsache ist: Der österreichische Beitrag zur diesjährigen Biennale von Venedig sorgt für Gesprächsstoff.

Dort, wo der ehrwürdige Hoffmann-Pavillon üblicherweise Kunst beherbergt, ummantelt nun ein ausgeklügelter Überbau die Architektur. "Mit seiner kristallinen Oberflächenformation ist dieses 18 mal 40 mal 39 Meter große Kunstwerk ein "technoides, bedrohliches Bild eines Berges", heißt es in der offiziellen Diktion. Das gut sichtbare Berg-Werk verweigert sich auf sympathische Weise dem bisweilen eitlen Repräsentationsgehabe der venezianischen Weltkunst-Schau.

Hans Schabus ist ein glühender Fan des US-Songwriters Will Oldham. "If I could fuck a mountain, Lord, I would fuck a mountain", hatte der Maestro des unangepassten und rabenschwarzen Liedgutes anno 1995 getextet. Den Text hat der 35-jährige, in Kärnten gebürtige Künstler im Katalog zur Biennale abgedruckt.

Der (für Einzelpräsentationen in Venedig) junge Mann und der Berg: Indem Schabus den österreichischen Mythos des Gebirges zitiert, beginnt er, die bekannte Architektur aufzulösen. Das torbogenartige Gebäude ist kaum erkennbar, bloß Ecken und Kanten bleiben sichtbar und erhalten so eine neue Bedeutung. Mehr als zwei Monate wurde aufgebaut, mehr als ein Dutzend Arbeiter haben die monströs-skurrile Alpenfestung errichtet.

Im Bauch des stilisierten Berges riecht es intensiv nach Holz. Es knackst, wenn die Besucher die Treppen besteigen. Sie müssen sich den Weg über Stufen nach oben bahnen, vereinzelt ermöglichen Luken und Sehschlitze neue, unbekannte Blicke auf das Biennale-Gelände und auf das Meer. Der Weg zum Gipfel führt über ein Labyrinth aus Pfaden, das, so der Künstler, an die "Carceri", die imaginären Gefängnisse Giovanni Battista Piranesis erinnern soll. Das hügellose Venedig hat seinen ersten Berg. Dieser kann nur von innen erklommen werden. Außen würde dieser graue Gigant jeden Abenteurer abwerfen.

"Dass Schabus einen Berg bewegen kann, erweist sich als bisher radikalstes Manöver innerhalb seines bisherigen Werks. Größer kann er als Bildhauer nicht mehr arbeiten", erklärt Max Hollein, der Kommissär für den Österreich-Pavillon im Überschwang.

Im hintersten Winkel der Biennale, zurückgedrängt ins letzte Land: 45 Stück Feuchtraumleuchten, 1000 Sandsäcke und zwei Vorhangschlössern sind in die mausgraue Trutzburg verbaut. Wer den Gipfelsieg errungen hat, entdeckt ein wahrlich weites, unentdecktes Land. Will Oldham wäre amüsiert.