05.09.2001 18:54:00 MEZ
Morgen haben wir dann frei
Was denn nun rechtens als Kunst zu betrachten sei, erweist erst die Praxis der Intervention

Bei der Ars Electronica in Linz greifen Behauptungswille und Zwang zur Innovation glücklich ineinander: Was denn nun rechtens als Kunst zu betrachten sei, erweist erst die Praxis der Intervention. Bestenfalls.

Linz - Am Linzer Hauptplatz steht eine Maschine, wie man sie auch von Tennisplätzen her kennt - sie schleudert Bälle, auf dass aus ihrem übenden Gegenüber dereinst auch eine Musterballwand werden möge. In Linz prallen die Bälle von der Kunsthochschule ab. Der macht das nichts, die hat schon vieles erlebt. Und außerdem ist sie Ensemble - und darüber hinaus durch ein Plakat geschützt. Weil die speziellen Bälle nämlich zerplatzen. Und dabei Farbspritzer hinterlassen. "If you don't think this is art, call 0664 232 2001", spricht das Plakat.

Und wenn man dann anruft und durchkommt, dann spuckt die Schleuder eben einen Ball. Das freut Sponsor A1 und die jung gebliebenen unter den Zuschauern. Natürlich ist so etwas Kunst, denn wäre es etwas anderes, das zuständige Magistrat hätte es nie und nimmer genehmigt. Die Frage ist demnach eine überflüssige. Merke: Ursprung der Kunst ist immer eine Behauptung. Deren Durchsetzung ist eine Frage der Macht.

In die Jahre gekommene Festivals haben diese Macht. Und das ärgert eben manche. Einige von denen haben die Deckung der realen Nacht genutzt und die Schleuder neu ausgerichtet: Sie hat dann vorübergehend auf den anderen Flügel des Linzer Brückenkopfes gezielt, und in dem wirkt segensreich das Finanzamt.

Allein, die Reichweite des Apparates war zu gering, der oberste Einheber blieb unbefleckt. Und das ist gut so, weil erstens das unerhört durchgestylte Linzer Finanzamt einen weiteren Eingriff der Kunst gar nicht mehr vertragen hätte; und zweitens ist so etwas verboten, und Verbotenes machen Aktivisten bekanntlich nie. Was sie aber gemacht haben, ist ein Lehrstück: Sie haben gezeigt, wie nahe gute und schlechte Kunst beieinander liegen, wie sehr die Substanz der Kunst ihre Idee ist. Und wenn die zündet, dann kann sie aus einer saublöden Installation ein tolles Readymade machen. Der eine hängt halt ein Pissoir ins Museum, die anderen drehen einen Apparat um ein paar Grad nach rechts.

Ein beliebter Witz in Linz ist derzeit der folgende: "Schaun ma uns heit die Kunst von moagn an, dann hom ma moagn frei." Das ist lustig. Und damit entspricht es schon wieder einer Wahrheit. Die Kunst von morgen werden die heute Jüngeren machen. Die sitzen vorwiegend im Foyer des Brucknerhauses und kümmern sich nicht im Geringsten darum, ob sie die Kunst von morgen machen. Die sind viel zu beschäftigt.

Da gibt es Leute, die gerade einmal ihr zweites Skateboard ruiniert haben und schon Agenturen schaukeln. Und für die ist ein Computer eben ein Computer, und die kommunizieren noch miteinander, ohne weiter drüber nachzudenken. Und nutzen die Gunst der Stunde, den Vorständen und hauptberuflichen Vordenkern zu verklickern, was "cool" ist.

Wenn sie dann ihre Anliegen formulieren - Open Sources, ein Urheber- und ein Patentrecht, die weniger der Gewinn- sondern vielmehr der Demokratiemaximierung dienen, dann keimt Hoffnung auf. Allemal mehr, als ein Festival anbieten kann, das aalglatten Programmierern ein Forum bietet, die jüngsten Animationen für Mercedes, Siemens oder die Freizeitindustrie vorzustellen. Die animieren das alte Troja und behaupten, der Interaktivität die Zukunft zu retten. Masaki Fujihata hat das in einer glänzenden Performance auf den Punkt gebracht: Seine "Powerpoint"-Präsentation bestand aus einer Videokamera, mit der er live seine handschriftlichen Notizen abfilmte. Und: "Ein Buch zu lesen, erfordert einen intelligenten Rezipienten. Demgegenüber steht der Benützer (interaktiver Angebote); der braucht mehr Erfahrung im Umgang mit dem Gerät als Intelligenz."

Die Zukunft wird ohnehin immer anders, als man glaubt. Und wer darüber zu viel nachdenkt, sieht alt aus.

(DER STANDARD, Print, 6.09.2001)


Quelle: © derStandard.at