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Kunstberichte

Mumien im Nebel

Das Technische Museum entlockt den Chachapoya-Inka ihre Geheimnisse
Illustration
- Mumienbündel aus dem Amazonasgebiet. Wie von einem Christo des 16. Jahrhunderts.  Foto: Yoshii Yutaka

Mumienbündel aus dem Amazonasgebiet. Wie von einem Christo des 16. Jahrhunderts. Foto: Yoshii Yutaka

Von Claudia Aigner

Was die alten Chachapoya (von "sacha", Baum, und "puyuque", Wolke), also die Wolkenmenschen aus dem Nebelwald, mit einem Computer-Tomographen oder dem Beschleuniger-Massenspektrometer VERA zu schaffen haben? Das können ja kaum kultische Grabbeigaben sein . . .

Die modernen Apparate werden vielmehr den zwölf Menschenmumien aus Peru, die derzeit im Technischen Museum mit ihrer "anmutigen Grauslichkeit" beeindrucken, ihre intimsten Geständnisse entlocken. Zum Beispiel über ihre Kaugewohnheiten (Coca, wovon sich eventuell Spuren in den Haaren finden werden). Oder über ihre Krankheitserreger in der Lunge. (Da ist es günstig, dass die Chachapoya-Inka weniger gründlich "räumten" als die alten Ägypter und aus ihren Toten lediglich die Unterleibsinnereien herausgeholt haben - durch den Anus.)

Während der interdisziplinären Ausstellung "Das Geheimnis der Wolkenmenschen-Inka" werden Mediziner, Physiker, Chemiker und Anthropologen übrigens laufend über ihre Untersuchungsergebnisse berichten. Auf http://www.technischesmuseum.at/.

Hartnäckiger Dunst

Eigentlich verdanken wir ja alles, was wir in Wien von den Chachapoya sehen können (von Keramik bis hin zu Sandalen, die zu 100 Prozent biologisch abbaubar sind) einem peruanischen Bauern. Hätte der nicht 1996 aus den Nebelwäldern Nordperus Weideland herausgeschlägert und damit das Mikroklima verändert und da und dort den hartnäckigen Permanentdunst verscheucht, wäre die Nekropole in den Berghängen heute noch vergessen. So aber konnte im nächstgelegenen Dorf Leymebamba ein Museum errichtet werden (unter anderem mit Geldern aus Österreich) für die Artefakte jenes Volkes, das von den Inka blutig unterworfen wurde und kurz darauf vor den Spaniern (und auch vor deren Viren, den mikroskopisch kleinen Konquistadoren) kapitulieren musste und dessen Kultur noch im 16. Jahrhundert ausstarb.

Zu den Gepflogenheiten der Chachapoya gehörten auch Khipus, opulente Werke aus Schnüren voller Knoten. Möglicherweise ihre Buchhaltung. Dagegen ist unser Knoten im Taschentuch ein dürftiges Speichermedium. (Man bekäme jetzt fast Lust, die nächste Steuererklärung aufwändig zu knoten und das Finanzamt damit zu überfordern.)

Die würdevoll makabren Mumien mit ihrer grotesken Mimik und exaltierten Gestik (oder noch in ihre diskreten Beisetzungsbündel gehüllt, als hätte sie ein indigener Christo respektvoll verpackt) stehlen freilich allem die Schau. Werden aber nicht wie in einer Freakshow bloßgestellt, sondern bei gedämpftem Licht ästhetisch platziert.

Im naturwissenschaftlichen Teil, wo die Maschinen mit den abschreckenden Namen den tumben Technik-Toren, der gerade noch mit einem Mikrowellenherd zurande kommt, faszinieren und zugleich in die Flucht schlagen und die Methoden vorführen, mit denen die Mumien "geknackt" werden, da hat womöglich das unscheinbarste Kleinod das größte Charisma: Ötzis Innenohr. Als Modell. Mittels Stereolithographie erzeugt. So winzig wie ein modernes Hörgerät.

Wolkenmenschen-Inka

Technisches Museum

Bis 30. Juli

http://www.technischesmuseum.at/

Macht neugierig.

Samstag, 13. Mai 2006


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