Ein wahrhaft mythisches Möbelstück, das die Menschheit schon
verschollen geglaubt hat, ist unerwartet wiederaufgetaucht. (Ein Möbel für
den horizontalen Menschen, also für den Schlafwilligen.) Unerkannt ist das
legendäre Liegesofa in einem Depot oder in der Versenkung herumgestanden,
bevor Mark Wallinger (ohne jetzt behaupten zu wollen, er wäre ein zweiter
Schliemann) es wacker aus den Spinnweben herausgezerrt hat.
Man sieht direkt, wie die Couch umweht ist vom Hauch der Geschichte und
vom Atem – Sigmund Freuds? Nicht dass ich daran gerochen hätte, aber: Ist
da womöglich der neurotische und hysterische Schweiß der Therapierten ins
Ruhemöbel gesickert, als der Beichtvater Sigmund F. die intimsten
Geständnisse aus ihrem Unbewussten herausgeholt hat? Wohl kaum. Es ist
nämlich gar nicht besagte Beichtcouch (die Hauptreliquie der
Psychoanalyse).
Galerie Krinzinger: Die Ohren liegen im Osten
Gut, dann stammt das Sofa eben aus dem Nachlass der Gebrüder Grimm und
ist ein Ausstattungsgegenstand aus diesem berüchtigten Koma-Schloss, das
von einer Dornenhecke (die märchenhafte Beschönigung für:
Stacheldrahtzaun) umgeben war und wo die Nothelferin der Schlafgestörten
an ihrem 15. Geburtstag eingenickt ist und bis zu ihrem 115. Geburtstag
durchgeschlafen hat. (Na ja, eine böse Anästhesistin, die so genannte 13.
Fee, hat ein bisserl nachgeholfen.) Ja, man merkt richtig, dass das
gepolsterte Leder geschwängert ist von den Träumen von Dornröschen.
Wieder falsch. Es handelt sich vielmehr um den west-östlichen Diwan,
den Goethe mit seinem gleichnamigen Gedichtzyklus verherrlichte. Und wenn
man genau hinschaut, sieht man noch die Abdrücke von Suleika und Hatem,
die hier ihre Liebe vollstreckten.
Moment, da stimmt was nicht. Das
Sofa ist von Mies van der Rohe. Das kann nicht der authentische
west-östliche Diwan sein. Und ist ein Diwan nicht auch „eine orientalische
Sammlung von Gedichten“? Richtig. Goethe war überhaupt nicht mit einer
Couch aus dem Morgenland bekannt. Er hat sich lediglich die dortige Poesie
schöpferisch angeeignet.
In seiner geistreichen Installation „A für
alles“ hat Mark Wallinger einen Diwan „geostet“ wie einen christlichen
Sakralbau, wo der Altar ja ebenfalls gern zur aufgehenden Sonne zeigt. In
dem Fall schaut der Kopf des Liegenden exakt gen Osten, jener Körperteil,
der das Allerheiligste beherbergt (für Freud: „das Es“, für einen
Dirigenten: „die Ohren“).
Im Raum: ein diffuses Klang-Geplätscher.
Daniel Barenboims Versöhnungsorchester (das „Westöstliche
Diwan-Orchester“), bestehend aus Jugendlichen verfeindeter Nationen
(Israelis, Palästinenser, Jordanier usw.), stimmt seine Instrumente für
das Konzert in Ramallah (im August 2005). Die multikulturellen Musiker
stimmen sich aufeinander ein. Denn Musik ist Teamwork und keine
tonkünstlerische Völkerschlacht, wo die Instrumente mit ihren Oktaven
aufeinander losgehen.
Mit vereinten Stimmbändern „buh!“ rufen
Barenboim ist also nicht mit Panzern und Bulldozern im Westjordanland
einmarschiert, sondern mit Beethoven und Mozart. Und leider kam es nicht
zu einem Wunder der Akustik wie damals, als Josua vor Jericho stand und
die Stadtmauer einstürzte, bloß weil die Schallwellen von sieben Posaunen
dagegen brandeten und das ganze hebräische Volk die Mauer anschrie.
Vielleicht hätte das West-östliche Diwan-Orchester vor den
„Anti-Terror-Beton-Wall“ hintreten sollen (Israel mauert die Palästinenser
ja gerade ein) und mit gezielten Buh-Rufen die Mauer niederstrecken.
Wallinger eröffnet mit dieser kompakten Zusammenstellung aus präzise
ausgerichtetem Diwan und waberndem Klang eben einen schier unendlichen
Assoziationsraum. Überbordende Schlichtheit.
Das auffordernd leere
Ruhebett steht eh da wie eine Einladung. An George W. Bush und Mahmud
Ahmadi-Nejad zum Beispiel, sich da drauf zusammenzukuscheln und
Komplimente und zärtliche Minneschwüre auszutauschen. Und dann erscheint
Osama bin Laden und sagt sehnsuchtsvoll: „Ich sei, gewährt mir die Bitte,
in eurem Bunde der Dritte.“
Imposante Paravents hat der Wallinger auch
aufgestellt. Mobile Trenn- und Diskretionswände zur Einschränkung der
Blickfreiheit. Mit Fotomotiven von ehemals oder immer noch geteilten
Städten: Jerusalem etwa. Oder auf Zypern: Nein, nicht die zerschnittene
Hauptstadt Nikosia, sondern Famagusta im türkischen Norden, unweit der
„Grenze des Hasses“. Die einst blühende Metropole ist ärger verwelkt als
eine Dauerwelle nach vier Monaten.
Und in Berlin: eine Mauer ohne
Graffiti. Ins Löwengehege (Wallinger hat die dortige Felswand abgelichtet)
hat sich halt keiner mit der Spraydose hineingetraut. Berlin hat ja wegen
dem einstigen „Antifaschistischen Grenzwall“ gleich zwei Zoos, die im
Kalten Krieg quasi ein Wettrüsten veranstaltet haben. Am Ende haben beide
gewonnen. Der eine hat jetzt die meisten Tiere (der Westzoo ist fast so
dicht besiedelt wie ein Kuhstall), der andre hat den meisten Platz. Und
nach langem, entbehrungsreichem Fußmarsch ruft der Tiergartenbesucher im
Osten irgendwann erleichtert aus: „Ah, eine Giraffe!“ Und weint ein paar
Tränen der Ergriffenheit.
Galerie Frey: Bis zum nächsten Butterbrot
Man nehme: viel Ketchup, Senf und Nutella, gatsche alles auf ein Brot
und streiche mit dem Buttermesser drüber (aber bitte adagio). Und wenn man
gut ist, dann kommt man vielleicht einem Bild von Richard Jordan nahe.
Aber wahrscheinlich nicht. Ähnlich wäre höchstens die Üppigkeit der
Substanz. Und dass die Buntheit von einem „Streichinstrument“ mitgerissen
worden ist.
Jordan ist ein appetitlicher Schmierer abseits der
Ekstase. Am Ende dürfen sich bei ihm oft noch Farbtuben erleichtern und
Akzente setzen, nicht größer als eine Portion Taubendreck. Jordan kann
aber auch ein Butterbrot schmieren (wenn er mit dem Messer vorher auch in
der Marmelade gewesen ist). Diese weißen Bilder mit dezenten
Farbverunreinigungen sind höchst kulinarisch.
Quer durch die Galerien
Galerie Krinzinger
(Seilerstätte 16)
Mark Wallinger. W — E.
Bis 20. Jänner
Di. bis Fr. 12 bis 18 Uhr
Sa. 11 bis 16 Uhr
Galerie Frey
(Gluckgasse 3)
Richard Jordan. Werkschau.
Bis
11. Februar
Mo. bis Fr. 11 bis 19 Uhr
Sa. 10 bis 16 Uhr
Freitag, 13. Jänner
2006