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Suleika auf Freuds Couch

Quer durch die Galerien
So sieht das einst blühende Famagusta heute aus (im Norden von Zypern): verwelkt wie eine alte Dauerwelle. Mark Wallinger reagiert auf die geteilte Mittelmeerinsel mit einer Trennwand. Galerie Krinzinger

So sieht das einst blühende Famagusta heute aus (im Norden von Zypern): verwelkt wie eine alte Dauerwelle. Mark Wallinger reagiert auf die geteilte Mittelmeerinsel mit einer Trennwand. Galerie Krinzinger

Von Claudia Aigner

Ein wahrhaft mythisches Möbelstück, das die Menschheit schon verschollen geglaubt hat, ist unerwartet wiederaufgetaucht. (Ein Möbel für den horizontalen Menschen, also für den Schlafwilligen.) Unerkannt ist das legendäre Liegesofa in einem Depot oder in der Versenkung herumgestanden, bevor Mark Wallinger (ohne jetzt behaupten zu wollen, er wäre ein zweiter Schliemann) es wacker aus den Spinnweben herausgezerrt hat.

Man sieht direkt, wie die Couch umweht ist vom Hauch der Geschichte und vom Atem – Sigmund Freuds? Nicht dass ich daran gerochen hätte, aber: Ist da womöglich der neurotische und hysterische Schweiß der Therapierten ins Ruhemöbel gesickert, als der Beichtvater Sigmund F. die intimsten Geständnisse aus ihrem Unbewussten herausgeholt hat? Wohl kaum. Es ist nämlich gar nicht besagte Beichtcouch (die Hauptreliquie der Psychoanalyse).

Galerie Krinzinger: Die Ohren liegen im Osten

Gut, dann stammt das Sofa eben aus dem Nachlass der Gebrüder Grimm und ist ein Ausstattungsgegenstand aus diesem berüchtigten Koma-Schloss, das von einer Dornenhecke (die märchenhafte Beschönigung für: Stacheldrahtzaun) umgeben war und wo die Nothelferin der Schlafgestörten an ihrem 15. Geburtstag eingenickt ist und bis zu ihrem 115. Geburtstag durchgeschlafen hat. (Na ja, eine böse Anästhesistin, die so genannte 13. Fee, hat ein bisserl nachgeholfen.) Ja, man merkt richtig, dass das gepolsterte Leder geschwängert ist von den Träumen von Dornröschen.
Wieder falsch. Es handelt sich vielmehr um den west-östlichen Diwan, den Goethe mit seinem gleichnamigen Gedichtzyklus verherrlichte. Und wenn man genau hinschaut, sieht man noch die Abdrücke von Suleika und Hatem, die hier ihre Liebe vollstreckten.
Moment, da stimmt was nicht. Das Sofa ist von Mies van der Rohe. Das kann nicht der authentische west-östliche Diwan sein. Und ist ein Diwan nicht auch „eine orientalische Sammlung von Gedichten“? Richtig. Goethe war überhaupt nicht mit einer Couch aus dem Morgenland bekannt. Er hat sich lediglich die dortige Poesie schöpferisch angeeignet.
In seiner geistreichen Installation „A für alles“ hat Mark Wallinger einen Diwan „geostet“ wie einen christlichen Sakralbau, wo der Altar ja ebenfalls gern zur aufgehenden Sonne zeigt. In dem Fall schaut der Kopf des Liegenden exakt gen Osten, jener Körperteil, der das Allerheiligste beherbergt (für Freud: „das Es“, für einen Dirigenten: „die Ohren“).
Im Raum: ein diffuses Klang-Geplätscher. Daniel Barenboims Versöhnungsorchester (das „Westöstliche Diwan-Orchester“), bestehend aus Jugendlichen verfeindeter Nationen (Israelis, Palästinenser, Jordanier usw.), stimmt seine Instrumente für das Konzert in Ramallah (im August 2005). Die multikulturellen Musiker stimmen sich aufeinander ein. Denn Musik ist Teamwork und keine tonkünstlerische Völkerschlacht, wo die Instrumente mit ihren Oktaven aufeinander losgehen.

Mit vereinten Stimmbändern „buh!“ rufen

Barenboim ist also nicht mit Panzern und Bulldozern im Westjordanland einmarschiert, sondern mit Beethoven und Mozart. Und leider kam es nicht zu einem Wunder der Akustik wie damals, als Josua vor Jericho stand und die Stadtmauer einstürzte, bloß weil die Schallwellen von sieben Posaunen dagegen brandeten und das ganze hebräische Volk die Mauer anschrie. Vielleicht hätte das West-östliche Diwan-Orchester vor den „Anti-Terror-Beton-Wall“ hintreten sollen (Israel mauert die Palästinenser ja gerade ein) und mit gezielten Buh-Rufen die Mauer niederstrecken.
Wallinger eröffnet mit dieser kompakten Zusammenstellung aus präzise ausgerichtetem Diwan und waberndem Klang eben einen schier unendlichen Assoziationsraum. Überbordende Schlichtheit.
Das auffordernd leere Ruhebett steht eh da wie eine Einladung. An George W. Bush und Mahmud Ahmadi-Nejad zum Beispiel, sich da drauf zusammenzukuscheln und Komplimente und zärtliche Minneschwüre auszutauschen. Und dann erscheint Osama bin Laden und sagt sehnsuchtsvoll: „Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der Dritte.“
Imposante Paravents hat der Wallinger auch aufgestellt. Mobile Trenn- und Diskretionswände zur Einschränkung der Blickfreiheit. Mit Fotomotiven von ehemals oder immer noch geteilten Städten: Jerusalem etwa. Oder auf Zypern: Nein, nicht die zerschnittene Hauptstadt Nikosia, sondern Famagusta im türkischen Norden, unweit der „Grenze des Hasses“. Die einst blühende Metropole ist ärger verwelkt als eine Dauerwelle nach vier Monaten.
Und in Berlin: eine Mauer ohne Graffiti. Ins Löwengehege (Wallinger hat die dortige Felswand abgelichtet) hat sich halt keiner mit der Spraydose hineingetraut. Berlin hat ja wegen dem einstigen „Antifaschistischen Grenzwall“ gleich zwei Zoos, die im Kalten Krieg quasi ein Wettrüsten veranstaltet haben. Am Ende haben beide gewonnen. Der eine hat jetzt die meisten Tiere (der Westzoo ist fast so dicht besiedelt wie ein Kuhstall), der andre hat den meisten Platz. Und nach langem, entbehrungsreichem Fußmarsch ruft der Tiergartenbesucher im Osten irgendwann erleichtert aus: „Ah, eine Giraffe!“ Und weint ein paar Tränen der Ergriffenheit.

Galerie Frey: Bis zum nächsten Butterbrot

Man nehme: viel Ketchup, Senf und Nutella, gatsche alles auf ein Brot und streiche mit dem Buttermesser drüber (aber bitte adagio). Und wenn man gut ist, dann kommt man vielleicht einem Bild von Richard Jordan nahe. Aber wahrscheinlich nicht. Ähnlich wäre höchstens die Üppigkeit der Substanz. Und dass die Buntheit von einem „Streichinstrument“ mitgerissen worden ist.
Jordan ist ein appetitlicher Schmierer abseits der Ekstase. Am Ende dürfen sich bei ihm oft noch Farbtuben erleichtern und Akzente setzen, nicht größer als eine Portion Taubendreck. Jordan kann aber auch ein Butterbrot schmieren (wenn er mit dem Messer vorher auch in der Marmelade gewesen ist). Diese weißen Bilder mit dezenten Farbverunreinigungen sind höchst kulinarisch.

Quer durch die Galerien

Galerie Krinzinger
(Seilerstätte 16)
Mark Wallinger. W — E.
Bis 20. Jänner
Di. bis Fr. 12 bis 18 Uhr
Sa. 11 bis 16 Uhr
Galerie Frey
(Gluckgasse 3)
Richard Jordan. Werkschau.
Bis 11. Februar
Mo. bis Fr. 11 bis 19 Uhr
Sa. 10 bis 16 Uhr

Freitag, 13. Jänner 2006


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