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derStandard.at | Kultur | Bildende Kunst 
07. Oktober 2005
17:41 MESZ
Von
Markus Mittringer 
FOTO: APA /MARTIN FICHTER
Zu gestalten: der bereits in den 60er Jahren angelegte, aber bisher nicht zugängliche Gang zur Secession der nun 2006 eröffnet wird

Quasi-Tatsachen am Karlsplatz
Ken Lums Intallationsprojekt gewann den Jurywettbewerb für die Neugestaltung der Unterführung

Die "Westpassage", eine Fußgänger- unterführung am Wiener Karlsplatz, wird bis vor die Secession verlängert und auch künstlerisch umgestaltet. Ken Lum besorgt den Kunstanteil am Projekt.


Wien – Wenn Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny vom "Kunstplatz" Karlsplatz spricht, kann er wohl nur die Häufung an Institutionen meinen, die durch diesen so genannten Platz so brachial voneinander getrennt werden: Zwischen Musikverein und Secession, zwischen Wien- Museum und dem Project- Space der Kunsthalle findet man die Wüste am Karlsplatz. Die zu durchqueren wurden vor langer Zeit schon (parallel zur Aufschüttung der Wüste) Passagen erschlossen. Mittlerweile haben die sich ziemlich abgebraucht.

So auch die "Westpassage", die derzeit noch eine unterirdische McDonald's-Filiale fast mit der Wiener Secession verbindet, in naher Zukunft aber direkt am Jugendstiljuwel enden soll. Und weil dem so ist, und weil die Wiener Linien Ges.m.b.H. & Co. KG, deren Netzwerke sich am Karlsplatz publikumsfördernd verknoten, traditionell kunstfreundlich sind – man denke nur an Oswald Oberhuber in der Landstraße, Anton Lehmden im Keller unter dem Volkstheater, oder Adolf Frohner unter dem Westbahnhof – wird nun auch am Karlsplatz Kunst einziehen. Möglich gemacht hat das ein Wettbewerb der Initiative "kunst im öffentlichen raum wien". Und die Jury hat unter acht geladenen Künstlern den aus Kanada gebürtigen Künstler Ken Lum für am würdigsten befunden, die Passage zu gestalten. Wie die hochfrequentierte Unterführung einmal aussehen wird, zeigt eine Animation. Ausgangspunkt seiner Überlegungen, erzählt Ken Lum, war seine Erfahrung, wonach Pendler auf die Frage, was sie im Lauf ihrer täglichen An- und Abreisen so erleben würden, keine Antwort wüssten. "Radio hören!", sagen die meisten, an das Programm aber erinnert sich kaum einer unter ihnen. Es müsste also gelingen, dachte Ken Lum weiter, Informationen in die Transfersituation zu schmuggeln, die auch hängen bleiben.

Und weil er ein Schelm ist, versucht er es mit einem Mix aus wertvollen und sinnlosen Informationen. Und so erfährt künftig tagesaktuell, wer sich vom Karlsplatz aus gen Westen durchschlägt, via LEDs wie viele Schnitzel die Wiener gerade essen, wie hoch die Verschuldung der Welt in US- Dollars gerade ist, wie viele Affären gerade ausgetragen werden, und wie viele Schutzimpfungen verabreicht. Die Countup- und -down-Uhren werden auf verspiegelten Tableaus montiert, auf dass der eilige Passant sich auch genau dabei beobachten kann, wie er erkennt.

"Factoids", (Quasi-)Tatsachen, nennt Ken Lum seine Newsticker, und natürlich ist das Projekt ebenso ernst gemeint wie ironisch. Ein Kunstwerk zum schnellen Rezipieren soll das sein. Und damit sich nicht alles dauernd ändert, steht es unter der Patronanz der Zahl "Pi", einer der wenigen Findungen der Menschheit, deren Muster sich nicht ständig wiederholt.

Die Wiener Linien sagen dazu, sie würden "zeigen, dass sie ihr Publikum nicht nur zur Kunst bringen, sondern auch die Kunst zum Publikum", und die Wettbewerbsjury stellt fest: "Alle eingereichten Konzepte hatten ein äußerst hohes Niveau und waren präzise vorbereitet. Daran zeigt sich die Bedeutung von Wettbewerben. Wichtig ist aber auch, über das Setzen solcher Landmarks im Stadtraum hinaus temporäre Interventionen zu ermöglichen."

Die Westpassage wird allein der Kunst vorbehalten bleiben. Werbflächen sind keine vorgesehen. Die Eröffnung ist für Juni 2006 geplant.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 8./9.10.2005)


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