![Der umstrittene Wiener Maler Otto Mühl, 1998,150,0,image_main (Foto: AP)](00061608-Dateien/duplex,dlf.jpe) Der
umstrittene Wiener Maler Otto Mühl, 1998,150,0,image_main (Foto:
AP)
| Eigentlich regt die
Kunst doch niemanden mehr groß auf. Vorbei die Zeiten, in denen nackte
Körper oder zu wüst auf die Leinwand gebrachte Farbe die Gemüter erhitzen
konnte. Der Satz: "Das ist doch nicht wirklich Kunst" hat sich im Jahr
2004 erledigt. Und doch sorgt zur Zeit eine Ausstellung im Museum für
Angewandte Kunst in Wien wieder für Aufregung. Gezeigt wird dort das
Lebenswerk des Aktionskünstlers Otto Mühl, jenes heute 78-Jährigen, der
Anfang der 70er-Jahre im Burgendland seine "Kommune" gründete und die
"Aktionsanalyse" als Befreiung von gesellschaftlichen Zwängen durch die
Kunst und durch die freie Sexualität propagierte. Die Sexualität
allerdings war offenbar so frei, dass Mühl von 1991 bis 1998 eine
Haftstrafe wegen Drogenmissbrauchs, Vergewaltigung und sexuellen
Missbrauchs Minderjähriger verbüßen musste. "Verbrechen dürfen nicht als
Kunst ausgestellt werden", fordern deshalb nun aus Anlass der Wiener
Ausstellung ehemalige Mitglieder der Mühl-Kommune.
Künstler, Krawallmacher, Kommune-Chef, Kinderschänder:
Jeder hat seinen Lieblings-Otto-Mühl, immer stimmt etwas daran, doch immer
ist es nur ein Teil des Ganzen, der anderen Teilen widerspricht. Eine
Ausstellung, die ab Mittwoch, dem 3. März, im Wiener Museum für angewandte
Kunst zu sehen ist, versucht, wenigstens dem Künstler Mühl gerecht zu
werden, und das ist schon schwierig genug.
Der im Burgenland
geborene, mittlerweile in Südportugal lebende, fast 79 Jahre alte Mann hat
ja zwischendurch, in seiner Zeit als Leiter der aktionsanalytischen
Kommune, sein vorheriges Schaffen abgelehnt:
In
den 70er Jahren hab ich gesagt: Malerei ist out, bringt nichts. Ich habe
mich mit Therapie beschäftigt, und das war sozusagen die neue Kunst. Und
Theater und Musik haben wir gemacht, so ist die Kunst als Pädagogik
zurückgekommen, ganz im Dienste einer ganz neuen Gemeinschaft. Es war
nicht mehr diese Kunst, die es vorher war.
Vorher war Mühl
einer der wichtigsten Exponenten des Wiener Aktionismus. Der hatte seine
Wurzeln in Action Painting und Happenings, ging aber in destruktiven
Veranstaltungen unter Einbeziehung von nackten Menschen, toten Tieren,
viel Blut und anderen Körpersäften und -ausscheidungen weit darüber
hinaus. Die damaligen Gefährten Hermann Nitsch, Günter Brus, Peter Weibel,
Oswald Wiener und andere sind bis heute bekannte Künstler. Für Mühl war
die künstlerische Aktivität damals, Anfang der Sechziger, eine Erlösung
von der Aussicht, Zeichenlehrer werden zu müssen:
Weil Mühl nach
seiner Scheidung nicht alleine leben wollte, startete er um 1970 eine
Kommune in einer Wiener Wohnung. Die wurde als Ort, in dem es kein
Privateigentum, dafür umso mehr freie Sexualität und den großen
Aktionisten als an Wilhelm Reich geschulten Therapeuten gab, im In- und
Ausland bekannt. So stieß zum Beispiel Claudia aus der Schweiz zum Otto,
den sie in einer anderen Wiener Kommune kennen lernte:
Da hab ich gemerkt: Von da geht das Ganze aus. Ich bin dann
rüber zu ihm zu Besuch und hab beschlossen, da bleib ich, das ist das
Paradies, so eine friedliche Stimmung. dann hab ich es geschafft. Seit
Dezember 1973 lebe ich mit dem Otto zusammen.
Claudia wurde
bald Otto so genannte Lieblingsfrau. Sie heirateten. das taten damals zwar
alle Kommunarden, aus formalen und finanziellen Gründen. Doch Otto,
Claudia und ihre Kinder wurden tatsächlich so etwas wie eine erste
Familie. Folgt man den Interviews, Büchern, Diplom- und
Dissertationsarbeiten zahlreicher enttäuschter Ex-Mühlis, dann war diese
Hierarchisierung einer der Gründe für das Ende der Kommune. Andere waren
die wachsende Lust am Geldverdienen, Misswirtschaft, vor allem beim Kauf
einer ganzen Bucht auf der kanarischen Insel Gomera, und sexuelle
Privilegien.
1990 jedenfalls wurde Mühl entmachtet, kurz danach zu
sieben Jahren Gefängnis wegen Unzucht mit Minderjährigen verurteilt. Gegen
die Vorwürfe wehrt er sich bis heute:
Ich bin
kein Pädophiler, ich stehe nicht auf Kinder. Ich mein, es ist vorgekommen,
dass eine 13 war oder 13 einhalb. Aber sie hat die Regel gehabt, sie war
reif, die wollten. Es ist nicht wahr, dass sie gezwungen wurden. Und ich
war auch nicht allein. Es haben viele mitgemacht. Aber mich haben sie
herausgeschossen.
Wegen dieses Kapitels in seinem Leben
laufen viele Gegner Mühls seit Monaten Sturm gegen die Ausstellung im
Wiener MAK. Sie wollen nicht, dass ein Mensch mit dieser Vergangenheit
sozusagen als Gesamtkunstwerk gewürdigt wird. Der Titel musste bereits
geändert werden, um viele Ausstellungsobjekte wurde debattiert. Es gibt ja
viele Fotos und Videos von seinerzeitigen Kommunarden in voller Aktion,
die jetzt wenig Interesse an öffentlicher Zurschaustellung haben.
Museumsdirektor Peter Noever versichert, dass die Persönlichkeitsrechte
gewahrt blieben, er sei ja kein Selbstmörder.
In der Mitte des
Sturms aber sitzt Otto Mühl und wirkt abgeklärt, was seine Vergangenheit
als Kommune-Guru anbelangt:
Ich habe -
notwendigerweise - viele Fehler gemacht. Ich war mehr Marxist - das war
falsch, absolutes Gemeinschaftseigentum ist Unsinn, das nimmt dem
Einzelnen die Freiheit. Eine Organisation von oben engt auch das
Individuum ein. Das waren schwere Fehler, und es war auch richtig, dass
das zugrunde gegangen ist.
Was seine Kunst anbelangt, ist
er wieder, oder noch immer, voll aktiv: Nach den Jahren im Gefängnis, in
denen er viel gemalt hat, hat er sich nun den Medien Video,
Digitalfotografie und Computer zugewandt und dabei seine aktionistischen
Ansprüche aufgehoben:
Ich kann alles machen -
ich kann auf Video malen, Electric painting, ich habe die totale Freiheit,
kann alles unter einen Hut bringen, wieder ein Aktionismus in der Malerei.
Auch diese Videos werden im MAK bis 30. Mai zu sehen sein.
Was aber sagt Otto Mühl, wenn er darauf angesprochen wird, was gut war in
seinem Leben und wie es anders hätte sein können?
So geht's ja im Leben meistens. Man glaubt, es ist alles
richtig, und ist ein totaler Psychopath und weiß es nicht. Vielleicht bin
ich's auch. Das ist alles möglich. Vielleicht stellt sich noch heraus,
dass ich total wahnsinnig bin (lacht), und die Leute halten mich noch für
normal.
Und seine Vorstellung vom Glück ist für Mühl, der
mit rund zwei Dutzend Kommunarden zwischen fünf und 50 an der Algarve
wohnt, relativ konstant geblieben:
In einer
Gruppe zu leben mit mehreren Frauen. Und Männern. (Lachen).
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