Ein Eskimo am Eisloch des Unbewussten

Cornelius Kolig geht in seiner Arbeit stets vom Körper aus. Die Boulevardpresse hat das einfach auf den diffamierenden Begriff "Fäkalkünstler" reduziert.




"Die Probleme entstehen ja nur, wenn das Kunstverständnis des Normalbürgers auf das Kunstverständnis des Künstlers trifft", sagt Cornelius Kolig. "Der Künstler braucht selbst 20, 30 Jahre, bis er etwas Gutes macht. Wieso soll jemand, der sich wenig oder überhaupt nicht mit Kunst beschäftigt, das verstehen können? Wenn man Kunst verstehen will, muss man wissen, wie Kunst funktioniert."

Nachturinkugel
Nachturinkugel
Das irritierende Moment in Koligs Denksystem - und er ist in der Tat ein leidenschaftlicher Systematiker - ist im gebauten Paradies (siehe Kunst im Bau) auch architektonisch manifestiert. Hier gibt es neben den Räumen mit den sakralen Bezügen jene mit Bezügen zu Körpersekreten. Einen Kotstrecker, eine Nachturinkugel, ein Frauenpissoir, Orte fürs Furzen, fürs Abkoten und fürs Menstruieren. Wichtig ist, dass alles benützbar ist, Kolig verwendet gern das Wort vom Gebrauch seiner Kunst.

"Ich hab einmal gelesen, dass das Anale das schlechthin schöpferische Moment ist. Da hab' ich mir gedacht: Was bringt der Mensch als Erstes in seinem Leben hervor? Das sind die Ausscheidungen. Das ist die Grundvoraussetzung für das Leben und damit der Fels, auf dem ich meine Kirche bauen kann. Und natürlich auch die Reproduktion, also die Sexualität."

Nötscher Enkel

Koligs Ausgangspunkt ist stets der Körper. Deshalb versteht er sich dem sogenannten Nötscher Kreis zugehörig, nicht nur weil sein Großvater einer dessen Protagonisten war. Die expressive Malerei eines Anton Kolig oder Franz Wiegele stellte in den 20er und 30er Jahren ebenfalls den menschlichen Körper in den Mittelpunkt - sinnlich, ausdrucksstark und farbintensiv.

Technikvisionen

Cornelius Kolig hat nach seinem Studium an der Akademie der bildenden Künste in Wien Anfang der 60er Jahre versucht, Sinnlichkeit sowie die Verletzbarkeit des Körpers mit anderen Techniken zu thematisieren. "Ich habe den Zugang zum Körper über das Technische gesucht, ganz am Anfang etwa durch die Röntgenplastiken. Zu der Zeit war die Entwicklung der Technik gesellschaftlich ganz hoch bewertet. In der Kunst hat es visionäre Konzepte von den Haus-Ruckern oder von Walter Pichler gegeben. Über technische Mittel sollte im Kopf ein Kick ausgelöst werden."

Ein Grenzgänger

Kunst, war Kolig damals überzeugt, müsse orgiastische Wirkung haben. Womit er sich in Opposition zur intellektuellen Konzeptkunst und - nicht zuletzt durch seinen Rückzug nach Villach - an den Rand des Kunstbetriebs stellte. Er baute Skulpturen von brutaler Sinnlichkeit, die allesamt den Eindruck erweckten, sie könnten, ja müssten benutzt werden.

Körper.Kunst

In einer der Langhallen stehen ein paar "Tactiles". Das sind technisch aufwendige Konstruktionen, die unmittelbar auf den lebenden Körper einwirken können, indem sie etwa in Form von riesigen Vibratoren in ihn eindringen, ihn mit Bürsten massieren, oder die mit verbundenen Augen abgetastet werden müssen.

Buchstäblicher Avantgardist

Kolig nimmt das Konzept der Avantgarde auf ironische Weise wörtlich, dass die Kunst ins Leben eingreifen müsse. Seine Objekte sind auf grausame Weise dazu im Stande, aber natürlich findet ihre Benützung nur im Kopf statt. Kunst, sagt Kolig, habe für ihn etwas mit Aggression zu tun. "Indem man um seine Gefährlichkeit weiß - und in der Kunst erkennt man sie - kann man die Aggression ableiten und dadurch weniger gefährlich sein als der normale Mensch. Der ist natürlich leichter verführbar, vor allem durch die Politik."

Er wolle, sagt Kolig, die Gleichgültigkeit beim Betrachten von Kunst aufbrechen. Es gehe ihm nicht um das Brechen von Tabus, sondern eher in einem aufklärerischen Sinn um Bewusstmachung körperlicher Abläufe. Das hat bei ihm nichts Metaphysisches, sondern vielmehr Wissenschaftliches.

Und manchmal ist da auch nur die Lust an einer Art Ästhetik der Körpersäfte. Das Einfärben einer Platte, auf die zuvor uriniert wurde, mit Kunstharzlack, wobei ein Schüttbild von intensivem Gelb auf Schwarz entsteht, kann einfach nur schön sein. Oder besser gesagt: sinnlich; wie die Vegetation und die damit verbundenen Gerüche im Hof zwischen den Langhallen von Koligs Anwesen.

Öffentliches Ärgernis

Sinnlich bis an den Rand des Kitsches sind auch die Rosenskulpturen. Die bislang größte ist in den Platz vor dem Villacher Standesamt hineingegraben, eine Schlucht, mit roten Polyesterrosen ausgelegt und mit Neonschriftzügen wie "Glück und Glas, wie leicht bricht das" kommentiert, oben mit Sicherheitsglas abgedeckt. Eine Arbeit zum drübergehen.

Aber, wie bei fast allen öffentlichen Kolig-Projekten, erhitzen sich auch hier die Gemüter. Wie auch schon bei der Ausgestaltung des sogenannten Kolig-Saales im Kärntner Landhaus 1998, wo Cornelius mit seinem Großvater Anton in einen künstlerischen Dialog trat. Einmal mehr wurde von den Gegnern des Projekts der Begriff "Fäkalkünstler" ins Spiel gebracht. Vor allem deshalb, weil Kolig mit dem Schriftzug "Tat Ort" auf die nationalsozialistische Vergangenheit hinwies, und darauf, dass in diesem Saal die Originalfresken seines Großvaters von den Nazis abgeschlagen wurden. In Kärnten ist auch das ein Tabubruch.

Tipp:

Cornelius Kolig ist unter anderem ein Thema bei Diagonal stellt vor am Samstag, 6. Mai, um 17.05 Uhr auf Radio Österreich 1.

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